Loben und nicht vergessen

Liebe Gemeinde,
mir geht es heute um loben, vergeben und vergessen.
Ich lese die ersten fünf Verse aus Psalm 103:

Von David. Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!  Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:  der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen,  der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,  der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.

Mir geht es uns Loben, Vergeben und Vergessen. Fangen wir mit dem Loben an.

Psalm 103 ist kein Gebet. Es ist eine Selbstaufforderung. David spricht mit sich selbst. „Lobe den Herrn meine Seele“ sagt er. Die Seele, das ist mein Inneres. Meine Gefühle. Meine Emotionen. Das kann Freude sein oder Traurigkeit, Angst oder Mut, Schüchternheit oder Übermut. Meine Seele, das bin ich selbst. Mit dem, was mich innerlich ausmacht. Meine Seele, das ist meine Geschichte, meine Gefühle, Sehnsüchte, auch meine Schuld, meine Schwäche, meine seelischen Abgründe. „Lobe den Herrn meine Seele und alles was in mir ist seinen heiligen Namen“.

David sammelt sich, oder wer immer diesen Psalm betet, sie oder er sammelt sich. Alles, was in mir ist, soll den Herrn loben. Das ist wie ein Stellungsbefehl, wie ein Offizier, der alles, was ihn innerlich ausmacht vor Gott ruft: Alles zu mir! Du Sorge, du Stolz, die Angst und du Dummheit. Los, kommt her ihr Verletzungen und du altes Selbstmitleid. Auch du, mein Glaube, komm her, und bring den Zweifel mit.

Was ist da noch in mir? Du kleines Selbstwertgefühl und du Schuld, und du Zweifel. Ist da noch etwas, was zu mir gehört? Etwas Helles oder Dunkles? Alles zu mir! Stillgestanden! Nehmt die Noten in die Hand! Macht den Mund auf! Klatscht in die Hände, wenn ihr wollt,   tanzt wenn ihr wollt oder macht es einfach still, werdet alle ruhig: Lobe den Herrn, alles, was ich mir ist!

David, und wer immer diesen Psalm betet, sammelt sich. Da soll keine kleine dunkle Ecke in ihm zurück bleiben. David fordert sich selbst auf, er nimmt sich in Zucht, er entscheidet sich. Jetzt wird gelobt. Jetzt wird gedankt. Jetzt sage ich allem, was in mir ist, wie groß und gut Gott ist. Stillgestanden. Augen geradeaus auf den Herrn, der dir so viel Gutes getan hat!

Lob und Dank kommt uns nicht so automatisch über die Lippen. Eher sehen wir vielleicht das Schwere, machen uns innerlich das Leben schwer, indem wir unsere Sorgen hin und her bewegen. Egal wie wir nach außen aussehen: Innerlich lassen wir den Kopf hängen. Obwohl wir Gott an unserer Seite haben, zu ihm gehören dürfen, er uns mit so vielem beschenkt, kann man das Danken und Loben vergessen. Man verliert diese dankbare und fröhliche, vertrauensvolle Grundhaltung, die zum Glauben gehört. Einige Psalmen beginnen darum mit einem Imperativ, einer Aufforderung: „Danket dem Herrn!” “Lobt den Herrn!” „Kommt und preist seinen Namen!“

David ruft alles in ihm auf, Gott zu loben. Das ist Gottes Wille. Gott will gelobt werden!
Aber warum will er das? Warum will Gott gelobt werden? Mal unter uns: Wenn Menschen gelobt werden wollen, also wenn man genau merkt, dass  sie oder er  so richtig darauf aus sind, gelobt zu werden, das ist doch peinlich.

Mein Vater hat Möbel verkauft. Einmal erzählte er, dass er bei einem bekannten Pastor eine Küche ausmessen sollte. Im Flur von dessen Wohnung musste er dann vor einer Vitrine anhalten. Mein Vater wunderte sich, weshalb der Kunde nicht gleich in die Küche weiterging. Und ganz unvermittelt sagte der Pastor mit einem Hinweis auf die Vitrine: „Diese Bücher habe ich alle geschrieben!“ – Mein Vater wusste gar nicht, was er sagen sollte, zumal sein Kunde nicht einfach weiterging, sondern offensichtlich auf eine Reaktion wartete. „Gut gemacht! Sie sind aber fleißig! Sie müssen aber ein kluger Kopf sein. Wie haben Sie das denn geschafft? Darf ich eines davon bekommen? Können sie mir eines signieren?“

Ich denke, Menschen, die so offensichtlich Lob oder Bewunderung brauchen, sind in sich klein. Unsicher. Sie brauchen das Lob der anderen, um groß und stark zu sein. Ist das bei Gott auch so? Warum will Gott gelobt werden? Was hat er davon? Was ist das für ein Gott, der unser Lob braucht? Ist Gott auch klein und unsicher? Braucht er unsere Bestätigung?

Eine Ware wird gelobt, um sie besser zu verkaufen. Kinder oder werden gelobt, um das Richtige bei ihnen zu fördern. „Das hast du aber schön gemacht!“ Lob als „Entwicklungshilfe“. Aber warum will Gott gelobt werden?

Also, um das einmal ganz deutlich zu sagen: Gott braucht unser Lob nicht! Gar nicht. An ihm ändern wir dadurch nichts. Um unsertwillen sollen wir ihn loben! Wir werden dadurch verändert! Wir werden dadurch groß. Das Richtige und Wichtige bekommt bei uns neue Kraft. Gott zu loben, das ist unsere „Erziehungshilfe“. Unsere Augen werden geöffnet. Unser Herz bekommt Luft. Wir sind schön dumm, wir verpassen das Beste, wenn wir ihn nicht loben.

Stellen sie sich etwas Wunderschönes  vor, etwas, das sie total staunen lässt. Vielleicht ein Gemälde und sie fragen sich: „Wie kann einer so malen?“ Sie gehen näher heran und können die Feinheiten und die Farben kaum fassen. Das Bild verlangt kein Lob. Es verändert sich auch dadurch nicht. Aber wer daran vorbei geht, wer das nicht sieht, wer da nicht ins Staunen kommt, der ist wirklich arm!

Oder stellen sie sich eine Landschaft vor, wunderschöner Blick, Bäume, Blumen, ein herrlicher Sonnenaufgang. Wer dabei steht und wen das nicht anrührt, der ist arm, dem fehlt etwas, der nimmt sich selbst etwas. Die Sonne geht auch ohne ihn auf. Aber wie schade, dass er nicht hinsieht!

Gott braucht unser Lob nicht. Aber wir brauchen es. Er beschenkt uns tausendfach, und wir sehen nicht hin. Wer Gott lobt, die oder der sieht ihn an, spricht aus, was er sieht, und das verändert uns!

Vergessen ist das Zweite, um das es mir heute geht.

Und beide hängen zusammen. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Wer lobt, der vergisst nicht. Wer lobt, sieht dankbar auf Gott, der erkennt ihn in seinem Tun. Wer lobt, hat Hoffnung, weil er sich unter dem Schutz und an der Hand Gottes wiederfindet.

Gott vergisst uns nie. Der Prophet Hosea hat das gesagt: “Gott kann uns nicht vergessen” (Hos. 11,18). Im Buch des Jesaja lesen wir Gottes Zusage: „Kann auch ein Weib ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über ihren leiblichen Sohn? Und wenn sie es vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in meine beiden Hände habe ich dich eingezeichnet.” (Jes. 49,14.15).

Gott vergisst uns nicht. Gott braucht sich keinen Knoten ins Taschentuch zu machen. Aber wir müssten uns vielleicht einen Knoten ins Taschentuch machen. Das wäre vielleicht ein neues Zeichen aller Christen, ihr Merkmal, woran man sie erkennen kann: Christen haben immer ein Taschentuch mit Knoten in der Tasche und das erinnert sie täglich, wo sie auch sind: „Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Wenn sie wollen, probieren sie es. Holen sie ein Taschentuch, machen sie einen Knoten und tragen sie es für lange Zeit bei sich. Oder kleben sie einen Zettel an einen Ort, an den sie oft sehen, einen Spiegel, eine Tür: „Loben nicht vergessen!“ Das wird ihren Alltag verändern.

In der Bibel hat das Wort “vergessen” eine tiefe Bedeutung. „Etwas aus seinem Besitz verlieren“ könnte man auch übersetzen. „Etwas verlieren“. Das, was ich vergesse, verliert seinen Einfluss auf mein Leben. Es spielt keine Rolle mehr in meinem Leben. Erinnern ist das Gegenstück dazu. Beides spielt in der Bibel immer wieder eine Rolle. Weil man vergessen kann, darum soll man sich immer wieder erinnern. “Das Gottesvolk hat Gott vergessen” lesen wir mehrmals bei dem Propheten Jeremia. (Jer. 2,32; 3,21; 13,25; 18,14; 23,27; 50,6)

Wenn die Väter Israels etwas mit Gott erlebt haben, haben sie kleine Altären aufgebaut, vielleicht einen Steinhaufen. Immer, wenn sie oder andere daran vorbei gehen, sollen sie sich erinnern, was Gott getan hat. – Erfahrungen mit Gott wurden aufgeschrieben. Man soll sich daran erinnern. Andere Kirchen pflegen die Tradition, neben dem Predigttext immer noch zwei weitere Bibeltexte im Gottesdienst zu lesen. Man soll sich erinnern, was Gott getan hat.

Die großen jüdischen Feste sind Erinnerungsfeste. Beim Passahfest geht es darum: Nicht vergessen! Das Volk erinnert sich, was Gott getan hat. In den Familien erzählt man sich die Geschichte. Gottes Eingreifen als sie in Ägypten gefangen waren. Gottes Bewahrung, als die Ägypter sie verfolgten. Der Weg durch das Meer. Seine Fürsorge, als sie in der Wüste waren. Wunderbar ernährt. Jeden Tag.

Sie erzählen sich die Geschichten, als hätten sie sie selber erlebt. Als wären sie selbst gerade durch das Meer gegangen, als wären sie selbst ins verheißene Land eingezogen. „Wir sind trockenen Fußes durch den Jordan gegangen“ freuen sie sich.

Viel Schweres hat das Volk Gottes überlebt im Erinnern. Indem sie sich erinnerten, wurde es gegenwärtig. Gott, der so handelt, wurde gegenwärtig. Die Erinnerung an die Befreiung hat sie neu an den befreienden Gott glauben lassen. Die Erinnerung an seine tägliche Speisung mit Manna und Wachteln hat sie neu aufgerichtet. So konnten sie wieder einen neuen Tag oder ein neues Jahr beginnen. Gott wird sie versorgen.

Man vergisst so schnell, wenn man sich nicht erinnert. Und dann verliert man es. Es verliert seine Kraft für uns. Gott verliert seine Kraft für uns. Obwohl er uns nie vergisst.

Das Abendmahl ist auch ein Erinnerungsmahl. Da wird Gottes Liebe, Jesus, der für uns gelitten hat, der Herr, den Gott auferweckt hat, gegenwärtig, weil wir uns an ihn erinnern.

Einreden“ heißt ein Buch von Anselm Grün. Es geht darum, dass jede und jeder sich etwas zu seinem Leben einredet.  Wie wir leben hängt sehr daran, welche Einreden wir uns erlauben. Man kann sich sein Leben dunkel einreden, negativ. „Die Bahn verpasst? Na typisch! Das passiert immer nur mir!“ „Mein Kuchen ist wieder nichts geworden. Nichts gelingt mir.“ „Ich stehe immer auf der Verliererseite.“ „Ich komme immer zu kurz. Ich muss festhalten, was ich habe. Ich muss kämpfen. Ich darf nicht nachgeben.“ Mir hört sowieso keiner zu. Da muss ich gleich laut werden. Ich werde sowieso abgelehnt. Oder ich sage gar nichts mehr.“

Diese Einreden können so stark werden, dass man unbewusst die Enttäuschung schon sucht und nichts Gutes mehr sieht. Psalm 103 ist eine Gegenrede, eine positive Einrede gegen diese negativen Sätze. Psalm 103 macht den Himmel wieder auf. – Vielleicht kennen Sie diesen einfachen und so wahren Satz: Danken schützt vor Wanken, Loben zieht nach oben.

Ich habe über Loben und Vergessen gesprochen. Vergebung ist das Dritte:

2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: 3 der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, 4 der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, 5 der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.

Dass Gott uns liebt, uns nie vergisst, wie eine Mutter ihr Kind nie vergessen könnte, dass Gott uns immer vergibt, das ist die Mitte, die Basis, das Fundament unserer Beziehung zu ihm. In unserem Psalm wird Gott nicht mit eine Mutter verglichen, er wird mit einem Vater verglichen. Vater dürfen wir zu Gott sagen, unser Vater ist er geworden durch Jesus Christus.

13 „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten. Lobe den Herrn,  meine Seele und vergiss niemals,  was er die Gutes getan hat!“
8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. 10 Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat. 11 Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten. 12 So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein.

Darauf können wir uns verlassen. Der heilige Gott, in dem kein Dunkel ist, er ist unser Vater. Jesus, der Herr, er drückt nicht einfach beide Augen zu. Er hat uns in seine Hände gezeichnet. Er ist der Garant: Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Gott ist treu und geduldig und barmherzig. Er vergibt uns alle Schuld, Sünde, die wir ihm bekennen. Das wollen wir nie vergessen, das wollen wir nie verlieren. Darum:

„Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!“

Amen.

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