Lukas 23, 33-48 Menschen unter dem Kreuz

Karfreitag 2022

Lukas 23, 33-48

33 Als sie zu der Stelle kamen, die »Schädel« genannt wird, nagelten die Soldaten Jesus ans Kreuz und mit ihm die beiden Verbrecher, den einen links von Jesus, den anderen rechts. 34 Jesus sagte: »Vater, vergib ihnen! Sie wissen nicht, was sie tun.« Dann losten die Soldaten untereinander seine Kleider aus.
35 Das Volk stand dabei und sah bei der Hinrichtung zu. Die Ratsmitglieder verhöhnten Jesus: »Anderen hat er geholfen; jetzt soll er sich selbst helfen, wenn er wirklich der ist, den Gott uns zum Retter bestimmt hat!« 36 Auch die Soldaten machten sich lustig über ihn. Sie gingen zu ihm hin, reichten ihm Essig 37 und sagten: »Hilf dir selbst, wenn du wirklich der König der Juden bist!«
38 Über seinem Kopf hatten sie eine Aufschrift angebracht: »Dies ist der König der Juden.«
39 Einer der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt worden waren, beschimpfte ihn: »Bist du denn nicht der versprochene Retter? Dann hilf dir selbst und uns!« 40 Aber der andere wies ihn zurecht und sagte: »Nimmst du Gott immer noch nicht ernst? Du bist doch genauso zum Tod verurteilt wie er, 41 aber du bist es mit Recht. Wir beide leiden hier die Strafe, die wir verdient haben. Aber der da hat nichts Unrechtes getan!« 42 Und zu Jesus sagte er: »Denk an mich, Jesus, wenn du deine Herrschaft antrittst!«
43 Jesus antwortete ihm: »Ich versichere dir, du wirst noch heute mit mir im Paradies sein.«

44-45 Es war schon etwa zwölf Uhr mittags, da verfinsterte sich die Sonne und es wurde dunkel im ganzen Land bis um drei Uhr. Dann riss der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel mitten durch, 46 und Jesus rief laut: »Vater, ich gebe mein Leben in deine Hände!« Mit diesen Worten starb er.
47 Als der römische Hauptmann, der die Aufsicht hatte, dies alles geschehen sah, pries er Gott und sagte: »Wahrhaftig, dieser Mensch war unschuldig, er war ein Gerechter!«
48 Auch all die Leute, die nur aus Schaulust zusammengelaufen waren, schlugen sich an die Brust und kehrten betroffen in die Stadt zurück, nachdem sie gesehen hatten, was da geschah.
49 Alle Freunde von Jesus aber standen weit entfernt.

Liebe Gemeinde,

die Menschen unterm dem Kreuz, sie sind typische Menschen. Menschen, die es immer gibt, wenn andere leiden. Sie sind Repräsentanten der Menschheit, Stellvertreter auch für uns heute, wie man unter dem Kreuz Jesu stehen kann.

(1) Zuerst sind da die Soldaten

Sie tun ihre Pflicht. Sie haben schon viele Menschen gekreuzigt. Das gehört zu ihrer Arbeit. Sie tun ihre Pflicht. Die Soldaten sind abgestumpft. Das, was hier passiert, was sie tun, es dringt nicht mehr zu ihnen durch.  Sie leiden nicht mehr mit. Es macht ihnen nichts mehr aus. Sie sind verroht. Männer, die zuhause gute Ehemänner und Väter sind, schießen auf Männer, Frauen und Kinder. Soldaten, die zuhause Familie haben, machen Jagd auf Zivilisten, bombardieren Wohnhäuser.

Menschen können sich Schreckliches einfallen lassen, andere zu demütigen, zu quälen. Soldaten können Lust aufs Morden bekommen. Die Soldaten unter dem Kreuz sind Menschen, die ihre Pflicht tun.  Sie tun, was ihnen gesagt wird. Sie handeln wie  Maschinen, wie Roboter ohne eigenen Kopf. Sie tun ihre Pflicht und merken nicht, dass sie Gottes Sohn kreuzigen.

Der da am Kreuz hängt, leidet auch heute mit. Ich bin hungrig, sagt er. Ich bin ausgebombt.
Ich bin auf der Flucht. Ich bin in Angst. – Am Ende werfen die Soldaten das Los über die Kleider der Getöteten. Ein kleines Spiel,  ein willkommener Zugewinn, ein Trinkgeld sozusagen für ihre harte Arbeit.

Jesus hat ein Wort für die Soldaten. Er betet für sie. Mitten in den schlimmsten Schmerzen. Nicht später, als alles vorbei ist, jetzt, wo es am meisten weh tut, da betet er für sie: „Vater vergib  ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ – Was haben wir für einen Herrn, der so vergibt! Kann ich auch so beten für andere, die mich verletzen? Was ist das für eine Liebe?

(2) Dann wird das Volk genannt.

Das Volk steht da und sieht zu.“  Solche Menschen gibt es immer, wo andere leiden. Zuschauer. Gaffer. Menschen, die dem Horror ins Auge sehen wollen, die das Blut sehen wollen. Sie gaffen und sie schweigen. Die Zuschauer sind nicht weniger geworden seit damals.  Durch das Fernsehen kommen Tote, Verwundete, Flüchtlinge, verzweifelte Menschen  direkt in unser Wohnzimmer. Das Zuschauen wird uns leicht gemacht.

Jesus hat nie nur zugeschaut. Und er tut es bis heute nicht. Er identifiziert sich mit denen, die Unrecht leiden. „Ich wurde gefoltert“ sagt er, „und ihr habt zugesehen.“ „Ich habe meine Heimat verloren, ihr habt nicht mit mir geteilt.“ – Sagt nie wieder, dass ihr nichts gewusst habt! Ihr habt es selbst gesehen! Ihr habt zugesehen!

Am Ende geht das Volk nach Hause und sie schlagen sich an ihre Brust. Das ist eine Gebetsgeste. Wer klagt, der schlägt sich an die Brust. Wer Buße tut, schlägt sich an die Brust. Die Menschen sind erschüttert, darum schlagen sie sich an die Brust. „Wie schrecklich!“ sagen sie. „Wie ungerecht!“ sagen sie. Aber morgen sehen sie wieder bei der nächsten Kreuzigung zu. Ich denke, Jesus hat auch an sie gedacht, als er sagte: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie nicht tun.“

(3)  Die jüdischen Oberen sind die dritte Gruppe unterm Kreuz.

Schriftgelehrte, Ratsmitglieder, Rechtsexperten. Sie haben ihr Ziel erreicht. Sie haben den Machtkampf gewonnen gegen diesen Aufrührer. Sie haben Recht behalten. Jetzt spotten sie! Er hatte ihre Autorität, ihre Tradition, ihren Glauben angegriffen. Er hatte ihre Gebote übertreten. „Das hat er nun davon, das geschieht im Recht!“ „Du hast anderen geholfen, nun hilf dir selbst!“ sagen sie. „Zeig es, wenn du der Messias bist! Ein König ohne Macht ist kein König!  Wir wollen sehen, was wir glauben sollen. Wir wollen dich stark erleben oder gar nicht.

Die Soldaten nehmen den Spott auf. „Hilf dir selbst!“ sagen sie. „Hilf dir selbst!“ Das ist das Credo der Starken. Das ist der Spott von oben, gegenüber den Schwachen, den Verlierern. Wer den Schaden hat, bekommt den Spott noch oben drauf.

(4) Die  beiden  Verbrecher links und rechts neben Jesus  sind eine vierte Gruppe. 

Beide leiden. Beide werden gekreuzigt wie Jesus und haben ihren Tod vor Augen. Beide sind zurecht verurteilt. Sie sind des Todes schuldig. Widerstandskämpfer. Mörder. Räuber. Einer von ihnen spottet mit. Den Tod vor Augen wird er zynisch. Das einzige, womit er sich noch einmal Luft verschaffen kann, ist sich über den anderen zu erheben, der mit ihm leidet, ihn noch einmal zu verletzen, noch einmal über einen Menschen Hohn und Spott auszugießen:  „Bist du der Christus? Hilf dir selbst und uns!“

Ganz anders der zweite Verbrecher: Er erkennt Jesus und er erkennt sich selbst. Er erkennt den Messias in dem Mann, der mit ihm, neben ihm leidet. Er erkennt seine Schuld, er sagt, er würde den Tod verdienen. Er sieht, dass Jesus unschuldig leidet! Er hört, wie der Gefolterte neben ihm betet: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun!“ Er weiß, dass er vor Gott als seinem Richter stehen wird. Damit noch nicht genug: Er glaubt, dass der Tod Jesus  sein Reich nicht nehmen wird!  Er glaubt, dass Jesus weiter leben wird, dass er Macht hat nach seinem Sterben,  dass er Macht hat, ihn in sein Reich aufzunehmen.

Der erste Christ, wenn man so will, der erste Mensch, der in dem Gekreuzigten den Messias erkennt, ist ein Mörder, ein jüdischer Widerstandskämpfer, ein zurecht zum Tode Verurteilter.  „Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ bittet er. Und auch für ihn hat Jesus ein Wort. Wieder ein Wort von der Vergebung. Ein Wort, dass allen Verbrechern, Sündern und Versagern,  zurecht Verurteilten  Hoffnung  gibt: „Ich verspreche es Dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“

Im Paradies sein, das heißt da sein, wo Freude, Freiheit und Friede herrschen. Da ist der Mensch wieder versöhnt mit sich, mit Gott, mit der Natur, mit der Schöpfung. Das Paradies ist Gottes Garten. Da blüht das Leben. – Jesus hätte sich retten können, aber er wollte uns retten. – Hätten die Christen gleich zu Anfang ein Gemeindeverzeichnis geführt, dann wäre der erste Eintrag, der erste Name, ein zum Tode verurteilter Verbrecher gewesen. Das ist Zeichen ist für alle, die nach ihm kommen!

Dieser Mann am Kreuz begegnet Jesus das erste Mal in seinem Leben, und er bekehrt sich. Er entscheidet sich. Er bekennt seinen Glauben. Dieser Mann ist ein Beispiel für jemanden, der konsequent ist. Er ist ein Mann, der nicht zögert. Er ist Jesus noch nie begegnet. Er hat keinen Kindergottesdienst, keinen Gemeinde- oder Konfirmandenunterricht, keine Jugendgruppe besucht. Er hat noch NIE eine christliche Predigt gehört. Aber er hat Christus erkannt und er bekehrt sich sofort.

Einmal abgesehen davon, dass keiner weiß, wie er alt wird und wie er sterben wird:   Man schiebt doch Gutes nicht auf, das man sofort bekommen kann! Ich darf ein Kind Gottes werden und will das erst später? Ich habe Jesus erkannt, weiß, wer er ist, und ziehe keine Konsequenzen? Unglaublich eigentlich. Was habe ich für ein Bild von Gott als meinem Vater? Wer gewinnt denn im Lotto und holt das Geld erst im Alter ab? Warum schieben Menschen ihre Entscheidung für Jesus so vor sich her?

(5)  Die letzte Person, die ich ansehen will ist der Hauptmann.

Auch er wird gehört haben als Jesus betete: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Er stand nahe dabei. Er hat die Soldaten befehligt. Er hat darauf geachtet, dass alles geordnet abläuft. Er wird die Sätze der drei Gekreuzigten gehört haben. Zuletzt Jesus, als er sagte: „Wahrlich, amen, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir in meinem Paradies sein!“  Und er hörte die letzten Worte Jesu: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“

Mit diesem Satz dürfen Menschen sterben, mit diesem Satz dürfen auch wir einmal sterben,  weil Jesus nicht sich selbst, sondern uns gerettet hat: „Vater, ich gebe meinen Geist, meine Seele, mein Leben, mich in deine Hände!“ Vor 9 Tagen ist Hellmut J. gestorben. Er war 84 Jahre alt. Eine Woche vorher war ich bei ihm. Ein sehr schöner, ruhiger, ehrlicher Besuch. „Wie geht es dir, wenn du daran denkst, dass du sterben wirst?“ fragte ich ihn. „Denkt du viel daran?“ „Ich weiß mich in Gottes Hand. Alles andere überlasse ich ihm,“ hat Hellmut geantwortet. „Vater, ich gebe mein Leben in deine Hände!“ Das war auch sein Gebet.

Als der römische Hauptmann das hörte, fing er an, Gott zu loben. Und er sagte: „Dieser war wirklich ein frommer Mann!“ – „Alle Freunde von Jesus standen weit entfernt,“ schreibt Lukas in seinem Bericht von der Kreuzigung. Bei zwei Menschen aber, die nahe dran standen, wird noch am Karfreitag der Glaube geboren. Ein Jude, der mit Jesus gekreuzigt wird, und  ein Heide, der ihn gekreuzigt hat. Der Hauptmann wird inhaltlich noch so gut wie Garnichts vom Glauben verstanden haben, von Gottes Willen und Geschichte, aber er hat Jesus erkannt, er hat begonnen an Jesus zu glauben, er hat Gott gelobt für das, was er hier erlebt hat.

Heute denken wir an Jesu Tod am Kreuz. Das Kreuz trennt die Menschen. Am Deutlichsten ist es durch die beiden Mitgekreuzigten zu sehen. Einer zur Rechten, einer zur Linken. Einer stirbt in Frieden, das Paradies vor Augen. Der andere stirbt im Spott und ohne Hoffnung.

In unserer Freikirche spielen Passionsspiele keine große Rolle. Das gehört nicht zu unserer  Tradition,  die Passionsgeschichte nachzuspielen. Lukas aber stellt uns verschiedene Rollen zu Verfügung. Welche Rolle würdest du heute spielen?

  • Bist du ein Soldat, der sich an das Böse gewöhnt hat? Abgestumpft? Ein Täter ohne Mitleid?
  • Gehörst du zu den Gaffern, den Zuschauern, den Nichtstuern? Schlägst du dir an die Brust, weil du das Leid kaum mit ansehen kannst, tust aber weiterhin nichts als Zusehen?
  • Bist du einer, der gesiegt hat, der es geschafft hat, der Recht behalten hat, und spottet über die Verlierer?
  • Hast du den Tod verdient?
  • Wirst du einmal mit Hoffnung sterben oder mit Spott auf deinen Lippen?
  • Bekehrst du dich zu Jesus, bittest ihn, bekennst ihn, wenn du ihn erkannt hast?
  • Fängst du mit dem Hauptmann an Gott zu loben?

Wer bist du heute unter dem Kreuz? Ich lade euch zu einer Stille ein. Stellt euch oder setzt euch innerlich unter das Kreuz, vor Jesus. Das Kreuz ist leer. Er ist auferstanden, das wissen wir auch heute. Er ist da. Er ist hier. Wie stehst du vor ihm? Ich lade euch zu einer Stille ein.
Wenn ihr wollt, seid einfach still, seht Jesus an, begebt euch bewusst in seine Nähe, nicht wie die Freunde damals, die weit weg standen. Wenn ihr wollt, sagt ihm etwas in der Stille. Lobt ihn, betet ihn an, bittet ihn, bekennt eure Sünden, bekehrt euch. Was ist deine Rolle heute? Wie stehst du unter dem Kreuz? Wir werden still unter dem Kreuz.

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