1. Mose 50, 15-21 Josef hat Frieden über seinem Leben

28.04.2024

Ihr lieben Jungen und ihr Alten,

heute geht es um Josef. Jakobs Sohn. Jakob hatte zwölf Söhne und eine Tochter von vier Frauen. Es geht um Josef und es geht um Familienkonflikte. Josef ist nicht mehr jung und noch nicht wirklich alt, aber er sieht in sein Leben zurück. Da war viel Schweres, Verrat, da gab es viele finstere Jahre, im Rückblick aber kann er auch das Schwere in seinem Leben einordnen und einen Sinn darin finden.

„Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts.“ Das hat der dänische Philosoph Sören Kierkegaard in seinem Tagebuch festgehalten. Viele von uns haben das schon erlebt: Man macht Pläne für sein Leben, hat Wünsche, Träume, man geht davon aus, dass alles gut geht, man macht sich ein fröhliches Bild von seinem Leben. Und dann kommt es anders, ganz anders als wir es uns gewünscht haben.

Niemand wünscht sich schwere Zeiten. Einen Unfall, eine Krankheit, eine zerbrochene Liebe, Lebensträume, die zerplatzen. Und doch kann man manchen Abgründen und tiefen Tälern nicht ausweichen:  Menschen tun mir weh. Lebensumstände ändern sich. Es geht bergab in meinem Leben. Das Leben tut weh. Und dann fragt man sich: Ist da irgendein Sinn dahinter? Wird der Schmerz, die Trauer, die ich jetzt gerade erlebe, irgendwann in meinem Leben überwunden sein?  Wird es vielleicht einmal ein wichtiger Teil in meinem Leben?  Gott, wo bist du darin? Warum lässt du das zu? Wo ist der Sinn? Wo ist der rote Faden in meinem Leben?

Und dann, vielleicht, wenn ich zurücksehe auf mein Leben, wenn ich alt bin oder noch gar nicht so alt bin, so wie Josef in der Geschichte heute, dann sehe ich zurück und es gehört alles zu meinem Leben. Es ist gut. Es lag ein Sinn darin. Dann verstehe ich mein Leben, wenn ich es rückwärts noch einmal ansehe, so wie Sören Kierkegaard es gesagt hat.

Das Schwere war trotzdem nicht schön.  Es war sauschwer. Und was Menschen dir angetan haben, das war wirklich böse, sehr böse, und es bleibt auch böse. Das müssen sie mit Gott einmal klarkriegen. Was andere dir angetan haben, soll nicht nivelliert werden. Sie werden dafür noch einmal vor Gott stehen.

Aber für dich ist dein Leben im Rückblick rund. Nicht leicht, aber okay.  Du bist versöhnt mit deinem Leben. Auch mit Gott und mit dir selbst. Du musst auch keinen Hass mehr haben, keinen Groll auf andere. Es ist okay. Es ist gut jetzt. Du hast deinen Frieden gefunden und damit eine innere Freiheit. Du bist frei zu agieren, zu fühlen, zu handeln, zu lieben, auch die, die es dir nicht leicht gemacht haben. Was gewesen ist, bestimmt dein Leben nicht mehr!

Es gibt solche Momente im Leben, in denen man zurücksieht und Frieden hat. Wem es aber gelingt, Gott schon in den ganz finsteren Tagen zu vertrauen, wo es noch keine Perspektive und noch keinen Trost gibt, wem es gelingt, Gott zu vertrauen, der hat den Frieden schon dann, wenn es noch dunkel ist.

Josef erlebt alles das in der Geschichte, um die es heute geht. Er ist mit 11 Brüdern aufgewachsen. Er war der Lieblingssohn seines Vaters Jakob, was die Eifersucht der anderen Brüder weckte. Sie müssen arbeiten, er wird noch zuhause verwöhnt. Dass ihr Vater dem Josef dann noch einen kostbaren Mantel schenkt, verstärkt ihre Eifersucht und ihre Wut auf ihren Bruder. Dazu kommt, dass Josef ihnen von seinen Träumen erzählt, in denen sich die 11 Brüder vor ihm verneigen. Das muss man sich mal vorstellen. „Du hältst dich für etwas Besseres?! Du meinst, du stehst über uns!?“ Sie sind so wütend, dass sie ihn loswerden wollen. Sie werfen ihn in eine Grube.  Einige wollen ihn umbringen. Dann verkaufen sie ihn als Sklaven an eine Karawane, die nach Ägypten will. Dem Vater Jakob erzählen die Brüder, ein wildes Tier habe Josef getötet. Als Beweis legen sie dem verzweifelten Vater den Mantel von Josef in den Schoß, den sie zerrissen und in Blut getränkt haben.

Josef kommt nach Ägypten, dort in das Haus von Potiphar, einem hohen Beamten am Hof des ägyptischen Pharaos. Dessen Frau findet Gefallen an Josef. Als er sie abweist, beschuldigt die Frau ihn der versuchten Vergewaltigung. Josef kommt ins Gefängnis. Dort wird bekannt, dass er die Gabe hat, Träume zu deuten.  Mit dieser Gabe hilft er einem Mitgefangenen, dem Mundschenk des Pharaos. Doch der vergisst ihn, sobald er freigelassen ist. Erst Jahre später, als der Pharao seltsame Träume hat und der Mundschenk davon erfährt, fällt ihm der ehemaligen Mithäftling  Josef wieder ein.

Josef deutet die Träume des Pharaos:  Auf das Land sollen sieben fette, gute Jahre zukommen, dann aber sieben magere Hunger-jahre, deutet Josef die Träume des Pharaos. Er rät dem Pharao, sich auf diese große Dürre vorzubereiten und Vorratsspeicher anzulegen. Der Pharao ist so beeindruckt von Josef, dass er ihn zum 2. Mann im Staate macht. Und Josef organisiert die Vorbereitung für die kommenden Hungerjahre. Die Katastrophe für Ägypten ist abgewendet.

Auch in den umliegenden Ländern herrscht Hunger, auch bei der Familie von Josef, in Kanaan. Josefs Brüder erfahren, dass es in Ägypten noch Getreide gibt, und sie machen sich auf den Weg. Sie treffen mit Josef zusammen, erkennen ihn aber nach all den Jahren nicht. Nach vielen Verwicklungen gibt sich Josef am Ende als ihr Bruder zu erkennen, den sie vor vielen Jahren an die Karawane verkauft haben. Jakob, der alte Vater, ist überglücklich, dass sein Sohn noch lebt.  Auch er kommt nach Ägypten. Die ganze Familie findet dort ein neues Zuhause: Hier sind sicher und sind gut versorgt.

Doch als Jakob stirbt, haben die Brüder Angst:  Wird sich Josef nun an ihnen rächen?  Grund genug hätte er. Seine eigenen Brüder haben ihn verraten und verkauft. Sie haben ihn zum Sklaven gemacht. Ohne sie hätte er nicht jahrelang im Gefängnis gesessen.  Was dann geschieht lesen wir im 1. Mose 50, 15-21:

15Als Josefs Brüder begriffen, dass ihr Vater tot war, bekamen sie Angst. Sie dachten: »Hoffentlich ist Josef uns gegenüber nicht nachtragend. Sonst wird er uns all das Böse heimzahlen, das wir ihm angetan haben.«16Darum ließen sie ihm mitteilen: »Dein Vater hat uns vor seinem Tod aufgetragen,17dir zu sagen: ›Vergib deinen Brüdern das Unrecht und ihre Schuld! Ja, sie haben dir Böses angetan. Nun vergib ihnen dieses Unrecht. Sie dienen doch dem Gott deines Vaters!‹« Als Josef das hörte, fing er an zu weinen.18Da gingen seine Brüder zu ihm hin, warfen sich vor ihm nieder und sagten: »Wir sind deine Knechte.«19Aber Josef sagte zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa Gott?20Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet. Er wollte tun, was heute Wirklichkeit wird: ein großes Volk am Leben erhalten.21Deshalb fürchtet euch nicht! Ich werde für euch und für eure Kinder sorgen.« Er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. (1 Mose 50, 15-21 BasisBibel)

Ihr Schwestern und ihr Brüder,

ich kann die Angst dieser Brüder gut verstehen. Ihr Vater hat die Familie zusammengehalten. Solange er lebte, konnte Josef seinen Brüdern nichts antun. Jetzt fehlt der Vater. Sind sie jetzt dem Zorn und der Wut von Josef ausgeliefert?  Wir er sich rächen? Er hat allen Grund und er hat alle Möglichkeiten.

Rache, Rachegedanken, Vergeltung zu suchen, das ist so menschlich. Eine Versuchung für den, dem Unrecht getan wurde. Besonders dann, wenn er plötzlich in einer stärkeren Position ist als vorher. Endlich kann man es dem anderen heimzahlen. Rache ist süß, sagt man.  Aber Rache führt in der Sache, im Konflikt, geschweige in der Beziehung nicht weiter.

Die Brüder fürchten Josef so sehr, dass sie zunächst einen Boten schicken. Jakob, ihr Vater, hätte den Brüdern den Auftrag gegeben, Josef seinen letzten Willen mitzuteilen. „Vergib deinen Brüdern das Unrecht und ihre Schuld! Sie haben dir Böses angetan. Aber nun vergib ihnen dieses Unrecht. Sie dienen doch dem Gott deines Vaters!“

Zwei Kapitel vorher lesen wir ausführlich in der Bibel, dass Jakob jeden seiner Söhne einzeln gesegnet hat. Jedem einzelnen gibt er Worte mit für seine Zukunft mit. Auch Josef und seinen beiden Söhnen Ephraim und Manasse. Der einzige Wunsch Jakobs war es, dass er in seiner alten Heimat in Kanaan beerdigt werden wollte, was inzwischen geschehen war. Nirgends sonst finden wir einen Hinweis, dass Jakob den Brüdern oder Halbbrüdern von Josef Weiteres mitgeteilt hat. Warum sollte er eine solche Bitte nicht Josef direkt mitgeteilt haben?  Das Ganze ist zu durchsichtig. Es spricht alles dafür, dass die Brüder es sich ausgedacht haben und sich gemeinsam, wieder alle einig, mit einer Lüge vor Josef schützen wollen.

Als Josef davon hört, fängt er an, zu weinen. Er sagt kein Wort. „Euer Bruder weint,“ mehr konnte der Bote den Brüdern nicht ausrichten. Es wird nicht klar, warum er weint. Vielleicht ahnt er, dass die Brüder lügen?  Hätte der Vater diesen Wunsch gehabt, er hätte ihn doch Joseph selbst anvertraut. Haben sie sich denn gar nicht geändert? Sind sie immer noch so unehrlich?

Vielleicht weint er auch, weil er offensichtlich immer noch nicht dazugehört, einfach ihr Bruder  ist, mit dem sie zusammengehören, dem sie vertrauen können. Die alte Kluft zwischen ihnen scheint nicht ausgeräumt. Was sie als junge Menschen erlebt haben, trennt sie immer noch. Offensichtlich haben sie über ihre Vergangenheit, darüber, was sie trennt, auch nie gesprochen. Sie haben nichts aufgearbeitet. Was ist das für eine Kultur – oder was ist das für eine Familie – in der alles, was die Kinder trennt, der ganze Schmerz, einmal geschehenes Unrecht, erst hochkommt, wenn der Vater tot ist. (Wie oft gibt es Erbstreitigkeiten, weil man vorher nicht offen geredet hat.)

Vielleicht aber kommt Josef nach all den Jahren auch alles noch einmal an die Oberfläche. Wie er sich fühlte, in den Brunnen geworfen. Als er sich seinen eigenen Brüdern seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte. Als sie ihm das Kleid auszogen und als Sklaven verkauften. Als er in Ägypten wie ein Stück Vieh weiterverkauft wurde. Die Nachstellungen dieser Frau, ihre kranken Anschuldigungen, die Jahre darauf im Gefängnis, ohne Familie, ohne Angehörige, einsam, niemand, der zu ihm hielt.

Damals hat er nicht gedacht: „Gott wird wohl einen Plan haben.“ Nein. Es war alles einfach grausam, schrecklich, ein nicht endender Alptraum. Ein Trauma für jeden Menschen! Vielleicht ist ihm das ganze Elend seines Lebens in diesem Moment bewusst geworden.

Warum Joseph weint, bleibt Spekulation. Aber dass er weint, ermutigt die Brüder, persönlich zu ihm zu gehen. Endlich kommt es zu einer persönlichen Begegnung. Sie fallen vor ihm nieder, sie beugen sich, sie gehen sich selbst demütigend auf die Knie vor ihm. Man wird in dieser Scene an den Traum des jungen Joseph erinnert, der genau das geträumt hatte. (44,14) Seine Brüder gehen vor ihm auf die Knie. Jetzt hat er wirklich alle Macht sich zu rächen, sie um Verzeihung betteln zu lassen. Aber seine Wunden würde es nicht heilen.

„Fürchtet euch nicht!“  sagt Josef.  „Habt keine Angst. Ich bin nicht Gott. Ich stehe nicht an Gottes Stelle. Im Rückblick auf mein Leben ist mir klar geworden: Ja, ihr hattet Böses für mich geplant, und ihr habt mir Böses angetan. – Ich ergänze einmal: Das müsst ihr  mit  Gott  klarkriegen,  das ist eine Sache zwischen euch und Gott,   ich bin da raus,  Gott hat Gutes entstehen lassen. Ich trage euch nichts nach. – Gott hat aus all der Finsternis, unter der ich schrecklich gelitten habe, Gutes werden lassen.

Das reicht Josef. Es geht nicht darum, wer wem Unrecht getan hat. Es geht um etwas Größeres. Ein großes Volk, die Ägypter, sie haben eine schreckliche Dürrezeit überlebt und sie konnten vielen Nachbarn helfen. Josef hat Frieden darüber. Er muss nichts nachtragen oder heimzahlen. „Ich bin doch nicht Gott!“ sagt er.

Gott kann aus Bösem Gutes wachsen lassen. Gott kann aus der Finsternis Licht hervorbringen. Das Böse wird böse genannt. Josef aber will frei davon sein und sich weiter Gottes Wegen anvertrauen, ihm dienen, nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen, nicht mehr aufrechnen. Dietrich Bonhoeffer, der Theologe und große Christusfreund, der sich gegen die Naziherrschaft gestellt hat, der verhaftet wurde und auf seine Hinrichtung wartet, Dietrich Bonhoeffer schreibt:

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Viele Menschen in der Bibel haben sich Böses zum Besten dienen lassen. Sie sind durch schwere Tage und Unrecht gegangen, haben an Gott festgehalten, sind bewahrt und von ihm gebraucht worden. Nehmen wir Daniel aus dem Alten und Paulus aus dem neuen Testament als Beispiel. Gott kann aus Bösem Gutes entstehen lassen. Dazu braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Guten wirken lassen.

Das größte Beispiel aber fand auf dem Hügel bei Jerusalem statt, den sie Golgatha nannten. Da hat Gott gelitten, da hat Gott in seinem Sohn schrecklich für uns gelitten. Gott trägt uns nichts mehr nach. Gott hat seinen Frieden mit uns gemacht.

Amen

 

Ich habe für diese Predigt einiges übernommen von Peter Schuchard, Bredstedt, 27.06.2021,
www.theologie.uzh.ch/predigten.

 

 

 

 

 

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