Vorsicht! Gottes Wort!

Ihr Lieben,

ich muss euch heute etwas über die Bibel sagen. Oder besser gesagt, über Gottes Wort. Vorsicht, kann ich nur sagen.  Das Wort Gottes ist gefährlich. Ich lese aus dem Hebräerbrief Kapitel 4 die Verse 12 und 13:

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.

Gottes Wort ist lebendig! Also nicht die Bibel, sie ist ein Buch, gedruckt, in viele Sprachen übersetzt.  Keine Sorge:  Die Bibel läuft nicht plötzlich durch unsere Wohnung, weil sie lebendig wäre. Aber wenn Gott dadurch spricht,  dann begegnet uns der Lebendige. Dann redet er als der Heilige und Barmherzige zu uns. Dann will er etwas von uns. Dann legt er uns offen, stellt uns. Gottes Wort ist alles andere als harmlos!

Die Bibel kann man nicht wie einen Krimi lesen, der uns nichts angeht. Niemand liest einen Krimi, um anschließend Räuber, Mörder oder Polizist zu werden. Der Krimi will uns nur unterhalten. Wenn Gott aber zu uns spricht, dann will er etwas von uns. Er will in unser Leben hineingreifen. Wer ein ruhiges Leben führen will, lasse die Finger von der Bibel. Oder er lese sie einfach nur als ein Buch und rechne nicht damit, dass Gott ihm etwas zu sagen hätte! Finger weg von der Bibel, wenn du dein Leben nicht ändern willst.

Gottes Wort ist lebendig und kräftig heißt es dann. Es ist voller Energie. So steht es im Griechischen.  Es ist wirkmächtig. Ein Wort, das tut, was es sagt. Wenn Gott spricht, dann geschieht es. Gott sagt, „es werde Licht“, dann wird Licht. Wenn Jesus sagt: „Lazarus, komm aus dem Grab heraus“, dann wird aus einem Toten ein lebendiger Mensch. Wenn Jesus sagt: „Folge mir“, dann erhebt sich Matthäus vom Zoll und lässt alles liegen. Wenn Jesus sagt: „Steh auf, nimm dein Bett und wandle“, dann steht der Krüppel auf seinen eigenen Beinen. Wenn Jesus sagt: „Fürchte dich nicht“, dann weicht alle Angst und Sorge. Friede kehrt ein.

Gottes Wort ist lebendig und powervoll. Da begegnet dir der Lebendige. Pass auf, was du tust, wenn du die Bibel in die Hand nimmst oder eine Predigt hörst.

Und das dritte hat es in sich: Dieses Wort ist schärfer als das schärfste beidseitig geschliffene Schwert. Mehr noch:   Es durchdringt Seele und Geist, Mark und Bein. Es ist der Richter unserer geheimsten Wünsche und Gedanken.

Es gibt Taschenmesser,  Klappmesser, bei denen die Klinge nach vorne aufspringt. Erst ab 16 Jahren darf man sie kaufen und mit sich führen. Diese Klappmesser sind einfach zu gefährlich! Und jetzt wird Gottes Wort mit einem zweischneidigen Schwert verglichen. Schärfer  als jedes nur denkbare Schwert soll es sein. Egal an welcher  Seite du dran kommst:  Du wirst Dich schneiden! Wenn man ein Klappmesser erst mit 16 tragen darf, dann ist die Bibel nicht jugendfrei.  Sie ist zu  gefährlich! Eine  zu  scharfe Lektüre. Da muss man erwachsen sein. Das geht „durch Mark und Bein“. Nichts für weiche Leute, die sich nicht  entscheiden  können. Kein Krimi, den ich nachher einfach wieder zuschlage.

Ich stelle mir einen Hauskreis vor, in dem diese  Sätze aus dem Hebräerbrief ernstgenommen würden:  Jede und jeder hat eine Bibel dabei. Der eine hat sie in einem Holzkasten, der andere in eine Decke gewickelt, eine Schwester hat ihre Bibel ungeschützt in ihrer Handtasche, und jetzt  packen sie alle vorsichtig ihre Bibel aus, legen sie langsam, ehrfürchtig wegen der in ihr liegenden Kraft auf den Tisch und schlagen erwartungsvoll auf, was sie lesen wollen. Sie wissen alle um den Sprengstoff, der in ihr steckt.

Ich muss mich selbst und uns aber noch einmal erinnern: Der Hebräerbrief meint  nicht  die Bibel, wenn er von Gottes Wort spricht, sondern das lebendige Wort Gottes, wenn er zu uns redet  durch die Bibel  oder durch eine Predigt  oder durch einen Menschen. Die Bibel  gab  es damals noch gar nicht,  nur das Alte Testament und nur  große  Synagogen hatten  alle Schriften des Alten Testaments. Und es gab erste Schriften der Apostel. In der einen Gemeinde hatte man vielleicht ein Markusevangelium und zwei Paulusbriefe, in einer anderen Lukas und die Apostelgeschichte. Der Hebräerbrief z.B. wurde ja jetzt gerade erst geschrieben!

Die Bibel kann noch gar nicht gemeint sein. Auf die Bibel kannst Du Dich draufsetzen, ohne Dich zu verletzen! Die kannst Du getrost in der Handtasche oder im Sakko nahe am Herzen bei Dir haben. Die Bibel sticht dich nicht. Aber wenn Du sie liest, und Gottes Geist sie zu Gottes Wort an dich macht,  dann wird’s gefährlich! Hüte dich davor, wenn du dem Lebendigen nicht begegnen willst, denn auf Dich hat Gott es in seinem Wort abgesehen.

Kein Mensch bleibt vor ihm verborgen. Auf deinem Nachttisch, da ist die Bibel ungefährlich.  Wie ein  Wecker  den man nicht gestellt hat und der darum auch nicht klingelt. Die Bibel springt Dich nicht an, so wie Gott Dich nicht anspringt. Aber wenn Du sie betend liest, offen für Gottes Wort, dann fängt der Heilige Geist an durch sie zu dir zu sprechen. Pass auf, was du tust, wenn Gott zu dir redet. Er hat offensichtlich ein scharfes Wort.

Wenn Gottes Wort uns aber schneidet, dann ist das kein tödlicher Messerstich. Es erschlägt uns nicht wie mit einer großen Machete oder wie ein uns richtendes Fallbeil. Dass sein Wort schneidet, dass es trennt, dass es uns offenlegt,  das soll dazu dienen, dass wir heil werden. Gottes Wort schneidet wie ein Arzt mit einem Skalpell. Das kann wehtun! Das geht durch unser Fleisch. Aber er will etwas Krankes aus uns herausholen. Gott will uns nicht nur trösten, er will uns aufwecken, erwecken.

Der Heidelberger Theologieprofessor Christian Möller hat den nur noch „konsumorientierten Umgang“ mit der Bibel beklagt. Was er meint, beschreibt er so: Die Bibel soll praktisch sein,  sagen viele. Was wir in ihr lesen und von ihr wissen wollen, das entscheiden wir, unser Alltag, unsere Fragen und unsere Probleme. „Was hat die Bibel uns heute noch zu sagen?“ fragen wir dann. „Wo ist Gottes Wort  für uns  relevant?“ Dann suchen wir die Bibel nach „Spitzensätzen“ ab, nach „Worten zur Lage“. Trostsprüche sind gefragt. Den Rest wissen wir ja schon, meinen wir. Gottes Wort wird auf „Grußkartenniveau“ heruntergedrückt, schreibt Möller. Der Maßstab für unser Bibellesen liegt bei uns. Wir wissen, was wir brauchen! Sagt die Bibel dazu nichts, dann hat sie ausgedient.

Christian Möller hat ein anderes Bild von Gott und darum auch ein anderes Bild von  Gottes  Wort. Nicht wir, sondern Gott weiß, worauf es im Leben ankommt, behauptet er. „Gibt es denn Konkreteres zum Leben zu hören, als das, was Gott  uns sagen hat?“  fragt Möller. Wollen wir ihm den  Mund zu halten, weil wir etwas für „nicht relevant“ halten? Darf uns die Bibel nicht mehr wehtun? Haben wir ein Kindermesser aus einem zweischneidigen Schwert gemacht?

Wir brauchen in unseren Hauskreisen oder Bibelkreisen die Bibel nicht mit zwei Fingern anzufassen, als wäre sie mit Nitroglyzerin gefüllt. Aber eine frohe und hohe Spannung auf Gottes Wort, in der man sich für Gottes Zuspruch und ebenso für seinen Anspruch  öffnet, das ist angemessen. Beides hat Gott uns zu sagen. Beides ist in seinem Wort. Gericht und Gnade. Zuwendung und Anspruch. Zusage und Ansage. Trost und Ermahnung. Gott will sich nicht nur geben, er will dass wir ihm uns geben!

Martin Luther hat zwei Gestalten des Wortes Gottes unterschieden: Gesetz und Evangelium hat er es genannt. In diesen beiden Gestalten würde uns das Wort Gottes begegnen. Das Gesetz ist das harte, das richtende Wort. Es zeigt, wer wir sind und wer wir sein sollen. Es zeigt, was wir tun, wie wir leben, und wie Gott will, dass wir leben. Das Evangelium ist Gottes Freispruch, seine bedingungslose Zusage, dass er uns liebt. Das Evangelium sagt, dass wir gerettet sind.

Martin Luther warf der römisch-katholischen Kirche  seiner Zeit vor, diese beiden zu vermischen, Gesetz und Evangelium. Dadurch verliere beides seine Kraft. Beide Ziele des Wortes Gottes werden nicht mehr erreicht. Dann wird es ein gesetzliches Evangelium: „Gott liebt Dich, wenn Du dies und das tust!“ Das aber ist nicht das Evangelium! Und es wird kein stumpfes, kraftloses Gesetz:  Gott will eigentlich dies und das, aber er liebt Dich auch, wenn Du es nicht tust!“ Das aber ist nicht mehr Gottes Wille! Seine Gnade ist bedingungslos, und sein Anspruch an dich ist um nichts verringert.

Darf Gottes Wort, darf Gott uns noch wehtun? Darf er noch in unser Leben eingreifen? Oder lesen wir die Bibel wie einen Roman? Hören wir Gottes Wort nur noch wie eine Büttenrede? Wir sagen nicht helau sondern halleluja, aber das Wort darf nicht mehr schneiden!?

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.

Ein Beispiel aus der Bibel will ich erzählen. Es ist die Begegnung des Propheten Natan mit dem König David. David ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und wie es Mächtige manchmal denken, meint er, ihm sei nun alles erlaubt. Er sieht eine schöne Frau im Nachbargarten, er begehrt sie, er holt sie sich, nimmt sie, schwängert sie, und um das Ganze zu vertuschen, stellt er ihren Ehemann an die gefährlichste Stelle der Kriegsfront, wo er prompt ums Leben kommt. Dann heiratet er die schöne Witwe und denkt, das sei ja alles prima gelaufen.

Da schickt Gott sein Wort, um an Davids Seele zu schnibbeln. Gott schickt sein Wort und schneidet tief. Er schickt sein Wort wie so oft durch einen irdischen Boten, den Propheten Natan. Der erzählt David eine Geschichte von einem Reichen, der viele Schafe hat, und von einem Armen, der nur ein Schaf besitzt. Und der Reiche in seiner Gier raubt dem Armen das eine Schaf. David regt sich auf und urteilt hart: Der Mann ist des Todes. Und Gottes Wort schneidet tief, kritisch, energisch, mitten ins Leben: Du bist der Mann, sagt Natan. Und jetzt erkennt David sich. Er ist aufgedeckt, wie nackt vor Gott. Er schämt sich, ist tief getroffen. Er sieht das Blut an seinen Händen. Das Heimliche wird offenbar.

Ich glaube, dass wir oft nicht wachsen, weil wir Gott an bestimmte Lebensbereiche nicht heranlassen und sie nicht in Angriff nehmen. Manchmal wissen wir ganz gut, was nicht stimmt, was Gott von uns will. Wir verbergen es vor anderen und verdrängen es vor uns selbst.  Wir meinen, uns vor Gott verstecken zu können, wie Adam und Eva im Garten Eden. Wir tun so, als hätten wir nichts gehört.

„Heute,“ diesen Satz lesen wir kurz vor unserem Predigttext in Hebräer 4,7: „Heute, wenn du meine Stimme hörst, so verstocke dein Herz nicht.“ Wo sticht uns Gottes Wort? Was spricht er an? Wo müsste ich es zulassen, dass er trennt, scheidet, schneidet? Bei David war es die Lust nach einer Frau. Bei Petrus war es die Selbstüberschätzung: Wenn alle anderen dich auch verlassen, ich bin dir immer treu, sagte er. Bei Johannes und Jakobus war es das Streben nach Macht: Sie wollten bestimmen, Chefs sein.  Sie wollten in der Herrlichkeit rechts und links neben Jesus sitzen. Bei den Pharisäern war ihre Frömmigkeit ohne Liebe, ohne Barmherzigkeit, ihre Selbstgerechtigkeit, die sie zu Steinen greifen lässt um eine Sünderin zu töten. Beim reichen Jüngling war es sein Besitz, der ihn von Jesus fernhielt. … Da sollte Jesus die Finger von lassen.

Wo sticht mich Gottes Wort? Wo setzt sein Schwert bei mir oder bei an? Wo hat er uns schon getroffen, aber wir wollen nicht hören? Was schiebst du vor dir her? Welche Entscheidung ist schon lange reif?

Gott will etwas von dir, wenn er spricht. Vielleicht will er dir das Evangelium sagen: Er liebt dich. Ohne Wenn und Aber. Die bist gerettet, gehörst zu ihm durch  Jesus Christus. Da darfst du immer und absolut drauf vertrauen. Nichts wird dich von ihm trennen.

Und Gott will dich. Er hat den höchsten Anspruch auf dich.

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen

Amen

 

Profitiert habe ich für meine Predigt von der Predigt der Gemeinde Greifbar in Greifswald vom 7.2.2010; greifbar.net

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