Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Herzlich willkommen im Neuen Jahr!

Die Jahreslosung für das 2020 finden wir im Markusevangelium: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Was ist das für ein Satz? Auf jeden Fall ist es ein Gebet. „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!“ Aber wann betet man so? In was für Situationen würden wir so beten: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Und wann werden wir im kommenden Jahr mit diesen Sätzen zu Jesus kommen? Gesprochen hat diese Worte ein Vater. Ich lese uns den Zusammenhang nach der Gute-Nachricht-Übersetzung:

14 Als sie zu den anderen Jüngern zurückkamen, fanden sie diese im Streit mit einigen Gesetzeslehrern und umringt von einer großen Menschenmenge. 15 Sobald die Menschen Jesus sahen, gerieten sie in Aufregung; sie liefen zu ihm hin und begrüßten ihn. 16 Jesus fragte sie: »Was streitet ihr mit meinen Jüngern?«
17 Ein Mann aus der Menge gab ihm zur Antwort: »Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht; er ist von einem bösen Geist besessen, darum kann er nicht sprechen. 18 Immer wenn dieser Geist ihn packt, wirft er ihn zu Boden. Schaum steht dann vor seinem Mund, er knirscht mit den Zähnen und sein ganzer Körper wird steif. Ich habe deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie konnten es nicht.« 19 Da sagte Jesus zu allen, wie sie dastanden: »Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut! Wie lang soll ich noch bei euch aushalten und euch ertragen? Bringt den Jungen her!«
20 Sie brachten ihn zu Jesus. Sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er das Kind hin und her; es fiel hin und wälzte sich mit Schaum vor dem Mund auf der Erde. 21 »Wie lange hat er das schon?«, fragte Jesus. »Von klein auf«, sagte der Vater, 22 »und oft hat der böse Geist ihn auch schon ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!« 23 »Was heißt hier: ‘Wenn du kannst’?«, sagte Jesus. »Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich.« 24 Da rief der Vater: »Ich vertraue ihm ja – und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!«  (In der Jahreslosung nach der Übersetzung Martin Luthers heißt dieser Satz: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“)
25 Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen; da sagte er drohend zu dem bösen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Fahr aus aus diesem Kind und komm nie wieder zurück!« 26 Der Geist schrie anhaltend und zerrte den Jungen wie wild hin und her, dann fuhr er aus ihm aus. Der Junge lag wie leblos am Boden, sodass die Leute schon sagten: »Er ist tot.« 27 Aber Jesus nahm ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.
28 Als Jesus später im Haus war, fragten ihn seine Jünger: »Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?« 29 Er gab ihnen zur Antwort: »Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden.«

Jesus, Petrus, Jakobus und Johannes hatten gerade ein großes geistliches Erlebnis hinter sich. Auf einem Berg haben sie die Herrlichkeit Jesu gesehen und Mose und Elia waren ihnen erschienen. Ganz schnell, sehr abrupt, kommen sie jetzt wieder in den ganz irdischen Belangen an. Eine harte Landung in Streit, Leid, Not, Hoffnung und Verzweiflung.

Ausgelöst hat den Streit dieser Vater. Er hatte Jesus gesucht. Er hatte gehört, dass er Kranke heilt. Er hat seinen Sohn gebracht. Jesus war nicht da und seine Schüler haben es nicht hingekriegt. Jetzt streiten sie auch noch. Kann man überhaupt heilen, wenn Jesus nicht da ist? Gibt es Bedingungen, die erfüllt sein müssen? Haben sie etwas falsch gemacht oder vergessen? Woran liegt es, dass sie nicht helfen können?

Als Jesus kommt, verändert sich die Szene. Der Vater wendet sich an ihn. Er erzählt ihm das ganze Elend. Jesus hört zu. Jesus fragt nach. Offensichtlich soll der Mann alles noch einmal erzählen, was er schon oft erzählt hat, wo er sonst oft gar keine Worte mehr findet „Was hat er denn? Wie zeigt sich das? Wie lange schon?“

Was der Vater von den Symptomen erzählt, sieht für uns aus wie eine Anfallskrankheit. Epilepsie. In meiner Zivildienstzeit kannte ich einen groß gewachsenen Mann mit dieser Krankheit. Er war Mitarbeiter im CVJM. Einmal habe ich nur die letzten Momente eines Anfalls miterlebt. Er lag auf dem Boden, krampfte, schüttelte Kopf und Arme, biss sich auf die Lippen, der Speichel vor seinem Mund sprudelte bei jedem seiner schnellen Atemzüge. Nachher wusste er nichts mehr von seinem Anfall.

Bei dem Jungen, den der Vater brachte, hat ein böser Geist die Krankheit ausgelöst. Immer wieder übernimmt der böse Geist die Kontrolle über ihn. Dann tut er Dinge, die er im wachen bewussten Zustand nie tun würde. Neben diesen Anfällen kann der Junge auch nicht hören und nicht reden. Er ist taubstumm. Er kann nicht reden, weil er nicht hören kann. – Schreien kann er sehr wohl. Der Junge ist in jedem Fall noch mehr belastet als allein mit dieser Anfallskrankhit.

Entweder war es ein Geist, der in diesem Kind sein Unwesen trieb, oder die Menschen damals haben es sich nur so erklärt. Entscheidend glaube ich ist,  dass es böse Mächte gibt,  die unser Leben  zerstören wollen, die uns unfähig zum Frieden machen, die uns die Kontrolle verlieren lassen, die uns binden an unseren Zorn oder an Süchte oder an Wesenszüge, mit denen wir uns und anderen schaden. In meiner Berliner Zeit hörte ich von einer Mutter, die ihren Mann und fünf Kinder von heute auf morgen verlassen hatte und zu einem anderen Mann gezogen war. Mutter und Vater der fünf Kinder waren beide engagiert in einer Gemeinde. Ich hätte aus dem Stand heulen können. Und meine ersten Worte waren: „Den Teufel gibt es doch!“ Vielleicht kann man das Verhalten der Mutter irgendwie menschlich erklären. Egal. Mein Eindruck war, dass der Teufel hier am Werk ist und dass diese Frau auch bei einem anderen Mann nicht glücklicher werden würde, dass sie einem ganz traurigen Betrug aufgesessen ist.

Der Vater von dem kranken Jungen erzählt Jesus seine Geschichte. Und dass die Schüler von Jesus nicht helfen konnten. Gottes Bodenpersonal waren die Hände gebunden. Und Jesus ist enttäuscht von ihnen! „Warum traut ihr Gott nichts zu?!“ sagt er. Nicht nur an seine Jünger gewandt sagt er das. Er sieht sie alle dabei an. „Warum traut ihr Gott nichts zu?!“ Solange bin ich bei euch, soviel habt ihr von Gottes Macht gesehen, aber ihr habt immer noch kein Vertrauen. Eure Beziehung ist immer noch schwach und brüchig. Was seid ihr für Menschen, dass ihr euern Glauben immer wieder so schnell verliert?

Das wäre eine erste gute Entscheidung zum Jahreswechsel, Jesus zu sagen „Ich vertraue dir“. „Ich traue dir dieses Jahr an.“ „Ich traue es dir zu, dass du mich festhältst. Du wirst mich bewahren. Du wirst mich führen und Gutes weiter entwickeln. Du bist immer stärker als das, was mir Angst macht oder mir schaden will.“ „Glauben heißt, eine feste Zuversicht haben auf das, was man hofft, und nicht an dem zu zweifeln, was man noch nicht sieht.“ (Hebräer 11,1)

„Ich vertraue dir das neue Jahr an. Ich glaube, hilf Herr meinem Unglauben.“ (Wer möchte kann diese beiden Sätze jetzt laut mit mir beten. J) – Nicht wenigen von uns fällt es leicht Jesus zu vertrauen. Das letzte Jahr war gut. Sie haben sie viel Bewahrung und Segen erlebt. Warum sollte Gott sie im kommenden Jahr nicht auch bewahren und beschenken? Es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln.

Nicht wenigen von uns fällt es schwerer voller Freude und Vertrauen in das neue Jahr zu schauen. Sie haben Schweres erlebt und Gott hat sie bewahrt. Vielleicht gibt es schmerzhafte offene Fragen, Ängste, wie es weitergeht, im Studium, im Beruf, in der Familie. Das ist alles keine Selbstverständlichkeit. Sie haben erlebt, wie brüchig das Leben ist. Weihnachten stand ich hier im Foyer nach dem Gottesdienst mit einem 90-Jährigen zusammen. Ihr Haus steht am Hang. Er war beim Schneeschaufeln auf den Rücken gefallen. Es tat noch weh, aber er hatte nichts gebrochen. Gott sei Dank. Und dennoch wurde es ausgesprochen: Man weiß ja nicht in dem Alter, ob man noch ein Weihnachten erleben wird.

Auch die wird es geben, deren Leben schwer ist, die mit offenen Fragen leben müssen, die körperliches oder seelisches Leid kennen, die aber einen ganz großen festen Glauben geschenkt bekommen! Und die anderen wird es geben, die sagen. „Ich möchte gerne glauben. Die sich entscheiden: „Ja, ich glaube!“ Die aber auch Angst haben, Zweifel, nicht an Gott grundsätzlich, aber ob er es mit ihnen auch wirklich gut macht. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ – Sie wissen, dass Glaube eine Gabe ist, ein Geschenk, und keine Leistung, die sie bringen müssen.

„Hab Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst“ bittet der Vater. „Hilf uns, wenn es dir möglich ist.“ Den guten Willen setzt er bei Jesus voraus. Wie viele Ärzte, Priester, Wunderheiler, Exorzisten vielleicht hatte er vorher besucht. Alle wollten helfen. Wie die Schüler von Jesus auch bevor er selber kam. Aber sie konnten nicht. „Hilf uns, wenn du kannst!“ „Gott ist alles möglich!“ hätte Jesus sagen können. Das wäre auch eine richtige Antwort gegeben. Das Einzige, was selbst Gott eine Grenze setzt, ist, dass er unseren Willen nicht bricht, uns nicht zu Marionetten macht. Menschen, die sich nicht helfen lassen wollen, die ihre Schuld und Sünde oder ihre Krankheit leugnen, die immer nur sagen „ich kann nicht anders“, „ich bin nun mal so“ und niemanden an ihre Not heran lassen, denen kann selbst Jesus schlecht helfen, weil er ihre Entscheidung achtet.

„Alles ist Gott möglich!“ Das sagt Jesus hier aber gar nicht! Er sagt: „Alles ist dem möglich, der glaubt!“ Dem Menschen, der Gott ganz vertraut, dem wächst eine übermenschliche Freiheit zu. Freude  trotz offener Fragen, Frieden mitten in der Auseinandersetzung.

In einer Predigt im Internet fand ich folgenden Text (von Joachim Bundschuh):

„Alles ist möglich dem, der glaubt!”
Wer glaubt, kann verzeihen und um Verzeihung bitten.
Wer glaubt, kann einen neuen Anfang wagen, wenn alle zerstritten sind.
Wer glaubt, kann von sich selbst absehen und sehen, was die anderen brauchen.
Wer glaubt, kann Kranke besuchen und Menschen ermutigen.
Wer glaubt, fürchtet sich nicht, kann eigene Grenzen überschreiten und auf Menschen zugehen, die fremd sind.
Wer glaubt, kann andersdenkende und anderslebende Menschen lieben und sie Gott überlassen. (Er muss sie nicht zu seinem Bilde erziehen.)
Wer glaubt, kann Obdachlose zu sich ins Haus laden.
Wer glaubt, kann es an einem Sterbebett aushalten und selbst getrost sterben.
Glaube versetzt Berge und macht alles neu:
Leib und Seele, Körper und Geist und unser Miteinander.
„Wer glaubt, kann alles!”
Gott ist alles möglich! – Ja. Gott kann das alles!
Die Frage ist, ob wir ihm so vertrauen, dass wir es ihm gleich tun.
„Dem, der Gott vertraut, ist alles möglich!“

Warum können wir so oft nicht glauben, Gott vertrauen, loslassen, uns selber und andere? Ein Grund ist, dass wir es letztlich selber richten wollen. Wir glauben noch mehr an uns als an Gott. Das ist ein Teufelskreis:  Wir vertrauen Gott letztlich nicht und nehmen es selbst in die Hand. Darum verkrampfen wir und kriegen Schaum vor den Mund! Wir kämpfen. Wir wollen überzeugen. Wir wollen etwas durchsetzen. Selbst unser Glaube kommt dann von uns. Er ist unsere Kraft, unser Mittel auf Gott einzuwirken. Wir vertrauen unserem Glauben. Auf einen großen Glauben kommt es gar nicht an in der Begegnung Jesu mit diesem Vater. Wer einen großen Glauben hat, der kann auch stolz werden, selbstsicher, weil er sich auf seinen Glauben verlassen kann.

Der Vater gibt Jesus Recht. Er würde ja gerne ganz fest glauben können. Er ist ehrlich: Ich glaube! Aber da ist auch ganz viel Unglaube, Zweifel, Angst. Der Vater erkennt, dass er selber Hilfe braucht. Er kommt zu Jesus. Er bittet Jesus. Er traut ihm jetzt auch alles zu. Aber sein Unglaube ist auch dabei. „Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“ Und dieser ungläubige Glaube reicht aus. Jesus heilt seinen Sohn.

Drei Voraussetzungen haben zu dieser Heilung geführt: (1) Die ganze Not wurde offen eingestanden. Es wurde nichts verheimlicht. Egal wie peinlich, schmerzhaft, elend seine Not aussieht. Pastor Heinrich Kemner hat einmal in einer Predigt von einem Bauern erzählt, der gebeichtet hat, dass er einen Strick gestohlen hat. Dennoch ging er nach der Beichte immer noch sehr bedrückt wieder nach Hause. Er hatte sich nicht getraut zu sagen, dass eine Kuh an dem Stick war. Die erste Voraussetzung zur Heilung hier ist, dass der Vater die ganze Not beim Namen nennt. Jesus fragt nach. Er soll alles erzählen.

(2) Der Vater muss einsehen, dass er nichts machen kann. Er muss loslassen. Nicht einmal auf seinen Glauben kann er vertrauen. Tatsächlich habe ich in einer Predigt die Vermutung gefunden, dass die Jünger vielleicht nicht heilen konnten, weil sie zu selbstsicher waren, es sich selber zugetraut haben, nicht bittend, betend mit leeren  Händen zu Gott gekommen sind.  Der Vater weiß: Er kann nichts tun.

(3) Er erwartet alles von Jesus. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Das ist ein Bekenntnis. Das ist ehrlich. Du das ist auch ein Hingabegebet. Mach du es, Herr. Mach, was du willst. Ich gebe es aus der Hand.

Die Jahreslosung aus Markus 9 ist eine große Befreiung. Sie fordert zum Glauben auf. Gott zu vertrauen. Wir sollen uns für den Glauben entscheiden. Aber wir dürfen mit einem ganz kleinen, angefochtenen Glauben kommen. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Jesus befiehlt dem Geist den Jungen zu verlassen und nie wieder zurück zu kommen. Wie tot liegt der Knabe dann am Boden. „Er ist tot“, sagen die Leute. „Aus dem wird nichts mehr!“ Jesus aber geht hin, greift seine Hand und richtet ihn auf. Und er stand auf. Völlig unverkrampft.

„Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden!“ sagt er seinen Schülern. – Im Reich Gottes gibt es keine Früchte, wo nicht gebetet wird. Wo Menschen auf sich selbst vertrauen, da bleibt es bei dem, was Menschen leisten können. Menschen, die beten, die vertrauen Gott wirklich. Und ein vorbildliches Gebet, ein Mustergebet geradezu ist das folgende:  „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Amen

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