Johannes 20, 19-23 Jesus kommt in unsere Angst und sendet in die Welt

07.04.2024

Ich lese aus dem Johannesevangelium, Kapitel 20, die Verse 19-23

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. 21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

Liebe Gemeinde,

Jesus schenkt seinen Jüngern seinen Frieden und er sendet sie mit dem Heiligen Geist in die Welt. Dieser Text ist ein Ostertext, er ist ein Pfingsttext, es ist ein Sendungstext und ein Text, der von der Vollmacht handelt, die Gott uns gegeben hat

Es ist immer noch Ostern, der Tag der Auferweckung Jesu, der erste Tag der Woche, Sonntag, der damalige Montag, also der erste Tag der Arbeitswoche, und es ist Abend. Zwei Jünger, Johannes und Petrus, sie waren zum Grab gelaufen, haben das leere Grab gesehen und sie hatten keine Erklärung dafür. Dann kam Maria aus Magdala ein zweites Mal zu ihnen und erzählte, dass sie Jesus gesehen hatte, den Auferstandenen.

Die Jünger wussten Bescheid, aber ihr Leben, ihre Situation, ihre Ängste hat Marias Botschaft nicht erreicht. Sie wussten, Jesus lebt, aber sie haben sich eingeschlossen, versteckt. Hinter verschlossenen Türen versammelt. Das ist ein besonderes Wort im Neuen Testament. Es gab noch kein Wort für Gottesdienst. Man sagte, sie kamen zusammen, sie haben sich versammelt, Gottesdienst ist die Versammlung der Gläubigen. Man könnte sagen, die Jünger feierten Gottesdienst, aber abgeschottet, geschlossen, ängstlich, die Welt sollte draußen bleiben.

Sie waren selbst Juden, aber sie hatten Angst vor den Juden da draußen, die sie vielleicht auch gefangen nehmen und an die Römer ausliefern könnten.

Es ist kein Geheimnis, dass es Christen gibt und auch Gemeinden, die verschlossen sind.  Kein Interesse an der Welt. Kein Blick nach draußen. Angst kann eine Rolle spielen, oder Resignation, oder einfach der Alltag, das Leben mit seinen Anforderungen, die Gemeinde mit all ihren internen Herausforderungen. Manche Gemeinden brauchen alle Kraft für sich selbst.

Diese Jünger waren kein Vorbild. Aber immerhin, sie haben sich versammelt, sie haben es gemeinsam ausgehalten, sie haben sich nicht vereinzelt, sie haben zusammen geklagt, getrauert und gebetet.

Da kommt Jesus zu ihnen. Plötzlich. Unerwartet. Unerklärlich. Der Auferstandene erscheint ihnen. Er kommt in ihre Angst und Verschlossenheit. – Ich habe mir früher vorgestellt, dass er durch die Wand kommt. Sicher ist: Er ist einfach erschienen, er ist da, sichtbar, und doch mit einem anderen Leib. Der Auferstandene ist keine Idee, er sucht und begegnet seinen Menschen.

Jesus kommt durch unsere Mauern. Für wie viele Menschen können wir beten, die sich eingemauert haben, die zu sind, die Gott vergessen haben, ihn nicht an sich heranlassen.  Unsere Kinder, unsere Eltern, unsere Freunde. Für sie können wir beten: „Herr Jesus, geh zu ihnen, begegne ihnen durch ihre Mauern hindurch. Zeige du dich ihnen als der, der lebt!“

„Friede sei mit euch“, sagt Jesus den Verängstigten. „Schalom alechem“ auf Hebräisch.  Schalom, das ist der normale tägliche Friedensgruß, aber aus seinem Mund ist es wie eine Totaltherapie, eine Totalermutigung, als würde das Licht wieder angehen, als wäre der Himmel wieder frei.

Und Jesus zeigt, mit welcher Vollmacht er diesen Frieden wünscht. Er zeigt, was es ihm gekostet hat, diesen Frieden schenken zu können. Er zeigt seine Wundmale, zeigt seine Seite, in die einer der Soldaten eine Lanze gestoßen hatte, er hält ihnen seine offenen, verwundeten Hände hin. Er ist es wirklich, der am Kreuz gestorben ist, er lebt. „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen!“

Jesus kommt zu den Angsthasen. Er betritt ihren geschlossenen Raum. Das kann er, weil er auferstanden ist. Und seine Jünger brauchen es dringend, dass er da ist, dass er ihnen sagt, wie es weitergeht, dass er ihnen Mut schenkt und die Leidenschaft in ihnen wieder entfacht.

Begegnungen mit Jesus verändern Menschen. Die Ängstlichen macht er mutig. Den Traurigen schenkt er Freude. Den schuldig gewordenen vergibt er. Die sich selbst eingeschlossen haben, sendet er in die weite Welt. Die in sich selbst verkrümmt sind, ihnen haucht er seinen Geist ein, richtet sie auf, lehrt sie wieder den aufrechten Gang.

Begegnungen mit Jesus verändern Menschen. Das Wissen um ihn, von Jesus zu wissen, das verändert noch nicht. Dass Jesus auferstanden war, wussten die Jünger ja schon. Maria von Magdala hatte es ihnen erzählt. Die Jünger aber waren nur noch mehr verwirrt. In sich selbst wie gefangen. – Menschen können viel wissen von Jesus und nicht verändert werden. Erst die Begegnung mit dem Auferstandenen verändert sie. Sein Friede. Die Freude an ihm. Dass er sie anspricht.

Menschen brauchen nicht nur Informationen über Jesus. Sie brauchen Jesus! Ihn selbst, und zwar in ihren verschlossenen Räumen, da wo sie leben, in dem, was sie erlebt haben, in dem was sie fühlen. Jesus kann in verschlossene Räume eintreten, weil er auferstanden ist. Er kann es und wir brauchen es. Solche Begegnungen mit ihm kann man nicht machen, aber man kann sie suchen und sich dafür öffnen. Dazu brauchen wir nicht stark sein oder einen festen Glauben haben. Vielleicht aber auch still werden, uns zurückziehen, den Lärm um uns her abstellen.

Jesus kann einzelnen Menschen begegnen. Sie verändern. Das heilige Licht in ihnen wieder entzünden. Aber eine besondere Verheißung liegt darauf, wenn Menschen sich in seinem Namen versammeln. Wenn sie zukommen kommen. Wenn sie Gottesdienst feiern oder sich in einer Gruppe von Christen treffen. Ihr Leid, ihr Leben, ihre Sehnsucht mit anderen teilen. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) hat Jesus gesagt.

„Schalom alechem!“ sagt er nun und zeigt ihnen seine Wunden. Die gerade noch so verwirrten Jünger freuen sich. Wo Jesus eintritt, da ist Friede. Da kommt zur Ruhe, was uns unruhig macht. Der Zweifel weicht. Der Mut kommt wieder. Die Freude ist da.

Dann wiederholt Jesus den Friedensgruß und fügt etwas hinzu: „Friede sei mit Euch; wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Aus dem Original, aus dem griechischen Text, kann man übersetzten: „Und folglich sprach Jesus nochmals zu ihnen: Friede sei mit euch.“. Zuerst die Befreiung, die Freude an Jesus, dann die Sendung. Sie haben ihn erkannt, sie haben sich gefreut, und jetzt erst, folglich, werden sie gesandt. Getröstete Menschen, voller Freude an Christus, sie bringen Menschen die frohe Botschaft.

„Wie mich der Vater gesandt hat, so sendet ich euch!“ Was ist das für ein Anspruch! Was ist das für eine Vollmacht! Was für ein Motto, eine Vision, eine Bewegung, die durch das ganze Leben geht. Jesus hat nicht nur geredet, er hat die Menschen geliebt. Jesus hat nicht nur geredet, er hat seinen Auftrag gelebt. Jesus hat nicht nur geredet, er hat es sich alles kosten lassen, sein ganzes Leben auf seine Botschaft eingestellt.

Es gab keinen Moment in seinem Leben, in dem nicht klar war: Er ist der von Gott Gesandte! Er wusste sich von Gott gesandt und wir sollen uns von Gott gesandt wissen. „Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs.“ Jetzt sollen wir von Gottes kommender Herrschaft reden. Jetzt sollen wir Gottes Liebe leben, opferbereit, zur Liebe befreit, nicht unsere Ehre, unser Glück, sondern Gottes Ehre suchen.

Dieser Text ist ein Ostertext, ein Sendungstext und ein Pfingsttext: „Jesus blies sie an und sprach:  Empfangt heiligen Geist!“ – Am Anfang der Bibel, im Schöpfungsbericht, da lesen wir, dass Gott seinen Atem in die Nase des Menschen hauchte. Da wurde dieses aus Erde geschaffene Männchen ein Mensch. Ein Gegenüber Gottes. Da wurde der Mensch beziehungsfähig.

„Jesus blies sie an und sprach: Empfangt heiligen Geist!“ Da kommt neues Leben in die Jünger. Ein neuer Geist. Gottes Geist. Mut. Zuversicht. Hoffnung. Gottes Liebe wird in sie hineingehaucht. Eine Bewegung von Gott her in diese Welt hinein erfüllt ihre Herzen. Sie sind wie neu geboren. Aus Gott geboren.

Wörtlich heißt es: Er blies in sie hinein! Der Geist Gottes bleibt nicht äußerlich. Er wird in sie hinein gehaucht. In ein Instrument bläst man, um ihm Töne zu entlocken, um Musik zu machen. Jünger Jesu sind Gottes Musikinstrumente. Gott will seine Musik, seine Töne, seine Hoffnung durch sie in dieser Welt erklingen lassen. Treffend, kraftvoll, klar und deutlich, tröstend, aufbauend, ermutigend, befähigend. Sie sind seine Siegesboten, Gottes Fanfaren,    die den Sieg am Kreuz hinausbringen und den kommenden Herrn ankündigen.

An Petrus kann man sehen, wie Gottes Geist ihn verändert. Karfreitag hat er Jesus verleugnet. Er hatte Angst, dass ihm das gleiche Schicksal geschieht. Ein paar Wochen später stellt er sich vor seine Richter und bekennt sich zu Christus. Und als sie es ihm unter Androhung der Todesstrafe verbieten wollen, da sagt er: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg 5, 29) as für eine Veränderung!

Die Sendung seiner Jünger gipfelt in einer sehr besonderen Vollmacht:
Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“

Gott allein kann Sünde vergeben, aber wir können anderen sagen „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Das kennen wir vielleicht noch, aber der zweite Satz hört sich sehr fremd an: „Welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Wenn jemand unter seiner Sünde leidet, etwas getan hat oder immer wieder tut, was ihn belastet, und wenn diese Person dann zu mir kommt oder wenn sie zu dir kommt,   dann sollst du zuhören, dann kannst du mit der Person beten und dann kannst du ihr zusagen „Dir seine deine Sünden vergeben!“

In der katholischen Kirche ist die Beichte ein Sakrament. Wenn jemand seine Sünden bekennt und ein anderer Christ ihm die Vergebung zuspricht, dann hält sich Jesus an sein Wort. Dem sind alle Sünden vergeben. In der katholischen Kirche darf das nur ein Priester tun. Das ist schade. Diese Vollmacht ist nicht nur Priestern, Pastoren oder besonderen Ämtern der Kirche gegeben. Jeder Christ darf einem anderen sagen, der umkehren will, dem seine Sünden leidtun, der zu Gott hinwill: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Und dann sind sie auch vergeben!

Versteckte Sünde lähmt das geistliche Leben. Mein Glaube, meine Liebe, meine Hoffnung kann sich nicht entfalten, weil da ein Deckel drauf ist, der es unten hält, etwas, was mich innerlich immer wieder belastet, wie eine Wolke oder ein Schatten, der sich zwischen mich und Gott gestellt hat. Dann führt man seine heimlichen inneren Kämpfe allein durch, einsam,  oder man meint, seine Vergangenheit, die einen immer wieder bedrückt, allein bewältigen zu können.

Es ist völlig klar: Wenn du gesündigt hast und betest „Herr vergib mir“ und deine Sünden ihm bekennst, dann vergibt er dir. Aber es gibt Situationen, da wird man selbst nicht mehr froh, nicht mehr frei, da kann man alleine die Vergebung nicht annehmen, da würde es so gut tun, einmal mit jemandem zu sprechen und den Zuspruch zu hören „Dir sind deine Sünden vergeben“. – Martin Luther hat die Beichte geübt und in seiner Kirche beigehalten wollen. Nicht mehr als Sakrament, nicht mit Druck, sondern als Angebot. Für ihn selbst war die Beichte eine große seelsorgerliche Hilfe. Es ist schade, dass wir es nicht mehr üben und kennen.

Manchmal – ich denke ganz selten – darf man Vergebung auch nicht einfach zusprechen. Gott streut seine Gnade nicht über das Land und sagt: „Es ist alles egal, wie ihr lebt, es ist alles gut, macht doch was ihr wollt, vergeben ist mein Geschäft.“ Ich kann es mir kaum vorstellen, aber wenn jemand kommt und seine Sünde tut ihm gar nicht leid, er will Jesus weder gehören noch gehorchen, aber er will mal schnell wieder, dass ihm alles vergeben wird, um dann weiter im Grunde ohne Gott zu leben, dann kann ich keiner Vergebung zusprechen.

Jesus hat uns nicht erlaubt, dieser Welt zu sagen oder Menschen, die nicht nach Gottes Herrschaft fragen: „Macht so weiter, macht was ihr wollt, am Ende ist sowieso alles gut. Gott drückt immer beide Augen zu!“ Gottes Vergebung ist an Christus gebunden. Wer Christus nicht will, dem können wir auch Gottes Vergebung nicht zusprechen. Reue und die Bereitschaft, umzukehren, sind die Bedingung zur Vergebung.

Es ist immer noch Ostern. Was ist das für ein Tag. Das Grab ist leer und unabhängig voneinander werden verschiedene Erscheinungen, Begegnungen mit dem Auferstandenen berichtet. Er ist wirklich auferstanden. Und immer wieder ist es so: Erst wenn er Menschen persönlich anspricht, dann Können sie glauben, dann werden sie froh.

Jesus kommt zu den Angsthasen und macht aus ihnen Osterhasen. Bitte entschuldigt dieses billige Wortspiel, aber ihr wisst, was ich meine. Menschen, die vorher ängstlich hinter ihren Mauern hockten, springen wieder fröhlich in die Welt hinaus. Sie sind von Gott in die Welt gesandt.

Und Jesus sagt ihnen: „Dies alles habe ich euch gesagt, damit ihr Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ (Joh 16,33)

Amen

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