Keiner wird abgewiesen (Jahreslosung 2022)

Die Jahreslosung für 2022 finden wir im Johannesevangelium, im 6. Kapitel, die zweite Hälfte von Vers 37:
          „Jesus spricht: Wer zu mir kommt,  den werde ich nicht abweisen!“

Ich lese uns die Verse Johannes 6, 37-40 im Zusammenhang vor: Jesus sagte:

37 Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. 38 Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 39 Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich’s auferwecke am Jüngsten Tage. 40 Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.

Wer zu Jesus geht, der wird nicht abgewiesen. Zu keiner Zeit und egal wie wir kommen. Ich darf jederzeit zu Jesus gehen, du darfst jederzeit zu Jesus gehen, er/sie/es darf jederzeit zu Jesus gehen, wir dürfen jederzeit zu Jesus gehen: fein herausgeputzt, mit reinem Herzen, oder besudelt, schmutzig, schamrot, am Tag oder in der Nacht:

Er freut sich, wenn wir kommen. Er läuft uns entgegen. Gerade wenn wir mit unserer Schuld kommen, gescheitert, wenn wir uns schämen und dennoch kommen, dann freut er sich, weil es unser Vertrauen zeigt, weil wir ihm glauben, weil wir unser Heil bei ihm suchen: Jesus sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“

Wie bei dem verlorenen Sohn in dem berühmten Gleichnis, das Jesus erzählt hat: Der verlorene Sohn geht zu seinem Vater. Er will nicht mehr arbeiten. Er will ihm nicht mehr dienen.  Er kann keine Lust mehr auf irgendwelche Pflichten im Leben. Er fordert sein Erbe von seinem Vater. „Gib mir, was mir rechtens erst nach deinem Tod zusteht. Ich will es jetzt schon.  Ich will leben,  ich will meine eigenen Wege gehen. Ich will nicht mehr warten. Ich will das Leben genießen. Jetzt. Heute. Du bist reich genug. Zahle mich aus. Ich will nicht mehr. Ich will mein Leben selber entscheiden.“  

Wie hart für den Vater! Aber er lässt seinen Sohn frei. Er zwingt seinen Sohn nicht, zu bleiben. Er kann seinen Sohn, den er liebt, nicht zu einem Sklaven machen, indem er ihn zwingt. Er lässt ihn gehen. Er lässt ihn seine eigenen Wege gehen. So wie Gott uns nicht zwingt. Aber der Vater trauert schwer. Er sehnt sich nach seinem Sohn, den er verloren hat, er wartet, er zündet jeden Abend ein Licht an: Ach, dass der Sohn doch wieder zu ihm umkehren würde!

Der verlorene Sohn scheitert in seinem Leben. Er verprasst alles, was er geerbt hat. Er feiert,  trinkt, isst, hat viele  Frauen. Als er sein Erbe aufgebraucht ist, landet er bei den Schweinen. Er hütet die Schweine  und  er frisst mit ihnen. Tiefer kann man nicht fallen. Schweine galten den Juden als unreine Tiere. Ganz unten, in seiner Verzweiflung, da erwacht die Sehnsucht nach seinem Vater wieder. Er ist doch aus der Liebe des Vaters geboren. Er ist geliebt worden. Er hatte ein Zuhause: Einen Ort, einen Vater, eine Familie, zu der er gehörte. Er hatte nie hungern oder frieren müssen beim Vater.

Für den verlorenen Sohn gibt es keinen Weg mehr ohne Scham. Entweder muss er sich Zeit seines Lebens schämen und mit den Schweinen fressen. Oder er muss zurück an den Hof seines Vaters gehen. Gescheitert. Arm. Stinkend nach Schweinemist. Ihm sein ganzes Elend zeigen. Dem Vater unter die Augen treten. Anerkennen, dass man ohne ihn gescheitert ist. Er wird sich furchtbar schämen vor seinem Vater. Er würde vor seinem Vater stehen als jemand, der nichts mehr geben kann, der aber alles braucht, der alles neu braucht, um zu leben. Vielleicht nimmt der Vater ihn als Tagelöhner.

Der verlorene Sohn kehrt um und dann ist er nicht mehr verloren. Dann kommt diese unglaubliche Szene, in der wir das ganze Evangelium finden: Der Vater sieht seinen Sohn als der noch weit weg ist, er bindet sein Gewand hoch, er läuft ihm entgegen auf seinen alten Beinen, der Sohn blickt zu Boden als der Vater ihn noch ganz aus außer Atem umarmt  und  der Vater schluchzt vor Freude. Endlich hat er ihn wieder, seinen Sohn. Und er hebt ihm den Kopf und er sieht ihm in die Augen und er nimmt seine Hand und er steckt ihm den Ring mit dem Familienwappen wieder an den Finger. Der wiedergefundene Sohn bekommt das ganze Erbe noch einmal geschenkt.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ sagt Jesus. In Jesus läuft uns der Vater entgegen. In Jesus zeigt er uns seine Liebe und Sehnsucht nach uns. Die ausgebreiteten Arme des Vaters sind die am Kreuz ausgebreiteten Arme von Jesus.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ Der Vater steckt dahinter. Der Vater hat seinen Sohn gesandt. Mit einem klaren Auftrag. Mit einem klaren Plan. Er hat seinen Sohn den  Menschen gesandt  und er bringt die Menschen zu seinem Sohn und alle, die der Vater ihm bringt, sollen gerettet werden. Das ist der Plan. Jesus soll niemanden verlieren, der zu ihm gekommen ist. Und Jesus wird niemanden verlieren, der zu ihm kommt. Und er stellt keine Bedingungen.

„Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und  glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ Ohne Bedingungen willkommen sein? Wo erlebt man so etwas? Und dann noch so beschenkt zu werden. Umarmt. Geküsst. Zum Erbe gemacht. Wo erlebt man so etwas? Hast du das schon einmal erlebt?

Eher werden wir Beispiele, Erlebnisse erzählen können, wo wir oder andere Menschen abgelehnt wurden. In der Schule gemobbt. Immer der Außenseiter. Bei manchen zieht sich dieses Gefühl durch das ganze Leben. „Ich werde immer abgewiesen.“ Den Job nicht bekommen; andere waren schlauer. Die Wohnung nicht bekommen; andere waren schneller. Flüchtlinge wissen, was es bedeutet, abgewiesen zu werden. In schlimmster Not keinen Zugang haben. Ausgesperrt. Nicht hereingelassen. Frierend. Hungernd. Niemand läuft ihnen entgegen.

Jesus schottet sich nicht ab. Jesus überlegt nicht, ob er den einen oder die andere noch zu sich lässt  oder  doch lieber seine Mauern hochzieht. Jesus macht ein unfassbares Asylangebot für sein Reich. Alle dürfen darauf  vertrauen: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.

Wer zu Jesus kommt, wird hereingelassen und er darf bleiben. Ohne Aufenthaltsbefristung. Jesus lässt nicht nur solche zu sich und zu seinem Vater, die hoch qualifiziert sind, Fachkräfte, moralische Vorbilder, Menschen, wie man sie brauchen kann im Himmel. Umgekehrt:  Jeder darf kommen, der den Himmel braucht, der Gott braucht, der sein Heil bei Gott sucht.  Alle dürfen kommen und bleiben. Ohne Obergrenze.

Gottes Haus ist ein Haus, das offen ist für alle Menschen. Und es ist ein Haus, das immer wieder offen ist auch für die, die wieder weggelaufen sind, die ihr Leben selbst führen wollten, die keine Lust mehr hatten auf Pflichten, die jetzt schon alles haben und verprassen wollten: Am Liebsten den Himmel auf Erden. Egal wer und wie und zum wievielten Male jemand zu Jesus kommt: Er wird, sie wird nicht abgewiesen. Jesus läuft uns entgegen, wenn er uns kommen sieht.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ Können wir uns das merken für dieses Jahr? Für uns selbst aber auch für alle Menschen? Jesus weist niemanden ab. Er hat keinen Geduldsfaden, der reißen könnte. Er ist nicht stolz, eitel, empfindlich.

Neulich las ich einen Satz, in dem es darum ging, dass wir die Sünde ernst nehmen sollen, mit der Sünde nicht spielen sollen. Jede Sünde verletzt Gott, heißt es da. Wenn wir lieblos sind, andere verurteilen, anderen keine Chance mehr geben, uns abschotten,  zu machen für andere Menschen, das verletzt Gott. Wenn wir Menschen betrügen, belügen, geizig sind, das verletzt Gott. Aber der ganze Satz lautete so: „Jede Sünde verletzt Gott,  aber Gott regiert nie verletzt.“

Gott trauert, Gott leidet, wenn Menschen aus der Liebe fallen, ungerecht handeln, einander Böses tun, wenn Menschen Gott innerlich verlassen, anderen Göttern in ihrem Leben dienen. Das verletzt Gott. Aber wenn ein Mensch wieder zu ihm zurückkommt, dann läuft er ihm entgegen, nimmt ihn in den Arm, steckt ihm seinen Ring wieder an. „Jede Sünde verletzt Gott, aber er reagiert nie verletzt.“

Der Vater steckt dahinter. Jesus ist die Liebe des Vaters. Der Heilige Geist gießt diese Liebe auch in unsere Herzen. Auch wenn Menschen zu uns kommen, können wir lernen wie Jesus zu antworten: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“

Jesus sagt:
38 Ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 39 Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich’s auferwecke am Jüngsten Tage. 40 Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.

Das ewige Leben will jetzt beginnen. Ewiges Leben heißt Leben mit der Perspektive Ewigkeit, jetzt schon vor Gott und mit Gott leben. Die Ewigkeit schon hier beginnen zu lassen. Aber die Jahreslosung ist auch ein Wort für diejenigen, die im kommenden Jahr sterben werden. Noch wissen wir nicht, wer das ist. Aber auch zu denen, die im kommenden Jahr sterben werden und an Jesus glauben, sagt er:

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ Dass auch im kommenden Jahr Menschen sterben werden, sage ich nicht bedrohlich. Das ist ein Fakt. Das sagt die Erfahrung. Auch von uns, die wir heute hier im Gottesdienst sind, kann es jemanden treffen. Oder mehrere. Wer weiß das?! Der Tod beendet das Leben hier auf der Erde. Das wird auch im kommenden Jahr so sein.

Aber die Jahreslosung, die Zusage von Jesus, hat Trost für uns. Auch wenn wir sterben oder jemand stirbt, der zu uns gehört, sagt Jesus: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe.“

Dass wir sterben müssen, ist keine Drohung, das ist ein Fakt. Es müssen schon sehr blinde Menschen sein, die das verdrängen. In den Psalmen heißt es: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“ (Psalm 90,12) Gemeint ist: Damit wir klug leben:  Leben mit ewiger Perspektive. Leben in dem Wissen, dass dieses Leben nicht alles ist. Nicht jetzt schon den Himmel auf Erden erwarten und alles nur für uns verprassen, was Gott uns gegeben hat.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“

So können wir jeden Tag mit Jesus beginnen.
So können wir uns jeden Abend ins Bett legen.
So dürfen wir zu ihm gehen, mit reinen Händen
oder direkt von den Schweinen kommend.
Und so dürfen wir auch einmal sterben, zu ihm hin.

Dafür steht Jesus mit seinem Namen:
Niemand wird verloren gehen, der zu ihm kommt.

Amen

 

Mit Gewinn habe ich gelesen die Predigt zu Johannes 6,37-40 von Pfr. Dr. Martens vom 21. Juni 2018, www.steglitz-lutherisch.de,  sowie eine Andacht von Jürgen Werth vom 24.7.2015, www.erf.de

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