Kleiner Mann vom Baum gepflückt

Liebe Gemeinde,

habt ihr das schon einmal erlebt, dass ein Bekannter von euch, eine Kollegin, ein Nachbar, vielleicht eine Verwandte euch plötzlich ganz anders begegnet? Irgendwie nett plötzlich. Zugewandt. Offen. Freundlich. Wie neu geboren. Und ihr fragt euch, was denn mit der oder dem passiert ist? Der Nachbar, der immer nur gemeckert hat, grüßt euch fröhlich, lobt deinen Garten, klingelt an der Tür, und bringt dir einfach so von seinen Kirschen oder seinen Erdbeeren? Deine Kollegin, mit der es immer nur Streit gab, überlässt dir einen großen Auftrag? Nicht nur einmal! Können Menschen sich so verändern?

Die Menschen in Jericho trauen ihren Augen nicht. Ein stadtbekannter kleiner Mann geht herum und klingelt an den Türen. Keiner mag ihn. Es ist dieser Ausbeuter, der Oberzöllner. Pikfein steht er da in seinem Nadelstreifenanzug, klingelt an fast jeder Tür und lässt den Leuten sein Geld da. „Hier, ich habe sie betrogen. Es tut mir wirklich leid. Ich möchte es ihnen vierfach zurückzahlen!“ Das war viel Geld, das sie da plötzlich in den Händen hielten. Staunend sahen sie dem kleinen sonst biestigen Mann hinterher. Ich lese uns, wie es dazu kam, dass Zachäus den Menschen plötzlich ganz anders begegnet.

Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.
Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Zachäus war kein armer Mann. Der brauchte kein Mitleid. Er hatte einen der Jobs, die in seiner Zeit super bezahlt wurden und beste Möglichkeiten boten, reich zu werden. Er war Oberzöllner.

Ich war neidgierig. Ich habe nachgesehen: Ein Oberarzt verdient im Schnitt 10 TEUR im Monat, ein Chefarzt kann 20 TEUR bekommen, ähnlich viel die Flugkapitäne. Top-Manager im Dax verdienen 7,5 Millionen EUR im Jahr im Schnitt. Hochbezahlte wird es immer geben. Eine Friseurin bekommt 1400 EUR im Schnitt, eine Bäckereifachverkäuferin 1600 EUR monatlich.

Jericho war eine reiche Stadt unweit des Jordan. Hier gab es Sonne und Wasser satt. Wer es sich leisten konnte lebte in Jericho. Man nannte sie auch die Palmenstadt oder die Stadt des Wohlgeruchs; Jericho war bekannt für seine Balsamherstellung. Die römischen Besatzer wollten verdienen am Handel. Sie selber aber wollten die Zölle nicht eintreiben. Sie suchten und sie fanden Juden, die diese Arbeit übernahmen. Im Volk waren sie darum verhasst. Zöllner galten als Kollaborateure, Verräter. Zöllner und Sünder wurden in einem Atemzug genannt. Das war schon eine stehende Wendung. Der Zutritt in Tempel und Synagoge blieben den Zöllnern verwehrt. Sie waren ausgeschlossen.

Die Römer versteigerten jeweils für fünf Jahre die Zollstellen. Der Meistbietende wurde Oberzöllner, der sich dann kleine Angestellte für die Arbeit suchte. Zachäus war ein Finanzier, ein Spekulant, ein Unternehmer, der sein Kapital anlegte. Natürlich mussten andere dafür zahlen, dass er reich wurde. Anders geht es nicht. Alles, was er mehr einnahm als die Römer forderten, gehörte ihm. Abzüglich der Kleinstgehälter für die ohnehin verachteten Zöllner, die auch noch ihren Schnitt beim Volk machen wollten.

Zachäus Welt war die „Welt der Nadelsteifenanzüge“. Er machte sich die Finger nicht schmutzig. Er ließ sein Kapital für sich arbeiten und wurde reich dabei. Jetzt geht er durch sie Straßen und gibt sein Geld wieder her. Die Hälfte von allem, was er hatte, hat er schon an die Armen verteilt. Jetzt geht er zu allen, die er betrogen hat, und gibt es ihnen vierfach zurück. Arm wird Zachäus dadurch nicht. Er kann immer noch gut leben, sich vielleicht nicht mehr jeden Luxus leisten. Zachäus ist ein anderer geworden. Das sieht jeder.

Er wollte Jesus nur sehen. Er hatte von ihn gehört. Schriftgelehrte und Priester warnten vor Jesus. Das machte ihn noch interessanter für Zachäus. Jesus hat aufrüttelnd gepredigt, das System hinterfragt, er stand für andere Werte ein, er hat Menschen geheilt. Jetzt auch wieder, einen Blinden auf dem Weg nach Jericho. Den musste er sich mal ansehen.

Zachäus war klein gewachsen. Niemand würde ihn vorlassen. Er würde gar nichts sehen. Darum stieg er auf einen Baum. Sehr ungewöhnlich für einen Erwachsenen. Er würde sich lächerlich machen. Egal, das war es ihm wert. Er war nicht in der Position, sich um die Meinung anderer zu scheren. Sollten sie denken was sie wollen. Er wollte Jesus sehen. War er einfach nur neugierig? Oder war da auch eine Sehnsucht nach ihm nach einem neuen Leben, nach einem freien Leben, in dem er sich selber achten konnte. Wir wissen es nicht.

In den Augen des Volkes waren Zöllner verlorene Menschen. Abgeschrieben. Die lebten in einer anderen Welt. Verloren ist ein Cent-Stück unter einem Küchenschrank, das keiner mehr sucht. Da lohnt sich das Bücken nicht. Zu weit unten, zu wenig wert.

Was könnten das heute für Menschengruppen sein, die irgendwie verloren erscheinen. Zu weit unten. In ihrer Welt gefangen. Menschen, die man in Gruppen einteilt, weil scheinbar alle gleich sind: Die Hartz-IV-Empfänger. Die Manager. Die Banker. Die Schwarzen in den USA, die in diesen Tagen wieder auf die Straße gehen. Die Sexualstraftäter. Die Obdachlosen. Die Alkoholiker. Die Rechtsradikalen. Die Flüchtlinge. Obdachlose. Da bückt sich doch keiner mehr. Wertlos, hoffnungslos, zu weit unten.

Menschen werden in Gruppen eingeteilt. Das einzelne Schicksal, die einzelnen Person verschwindet hinter einem Begriff, hinter eiben Titel, den Menschen für sie haben. Namenlose nach denen niemand mehr sucht. Zöllner und Sünder.

Jesus gibt dem Verlorenen einen Namen: Zachäus. Weil Gott Zachäus sucht und ihn bei seinem Namen nennt, darum ist er nicht verloren. Gott sucht nicht nach Oberzöllnern, nach Reichen oder nach Erpressern. Gott sucht Zachäus. Jesus ruft Zachäus bei seinem Namen. „Der Gerechte“ heißt sein Name übersetzt. Und das, obwohl Jesus weiß, dass Zachäus kein Gerechter ist. Zachäus macht seinem Namen keine Ehre. Dafür tut es Gott.
Er gibt Zachäus seine Würde als Mensch zurück. Er geht nicht an ihm vorbei. Kein Wort der Anklage oder der Verachtung. Jesus sieht ihn, den Menschen, und spricht ihn mit Namen an.

Zachäus ist sofort klar: Der kennt mich. Nicht nur meinen Namen. Jesus hat schon andere angesprochen. Auch schon einmal einen Zöllner, Levi. „Komm und folge mir nach!“ Und Levi stand auf, ließ alles zurück und folgte ihm nach. – Seinen Namen von Jesus zu hören, das muss befreiend sein. Zachäus steigt sofort von seinem Baum herunter. Er geht nach Hause. Er bereitet das Mahl vor. Die Umherstehenden ärgern sich: Warum denn gerade er, dieser Ausbeuter!? Wird er jetzt noch belohnt für seine Abzocke?

„Zachäus, steig eilend herab. Ich will heute in dein Haus einkehren.“ Es ist als ob Jesus gerade ihn gesucht hätte. Unter den vielen, die die Straße füllen. Und Zachäus erkennt sich selbst in dieser Zuwendung. Er erkennt den, vor dem er immer davongelaufen war. Sich selbst. Seine kranken Werte im Leben. Er erkennt wie er andere aber auch sich selber betrogen hat. Und er erkennt einen Menschen in sich, der trotz seiner Schuld von Gott angesehen ist, geliebt, als Person gesehen, nicht nur mit einem Titel versehen.

Deshalb kehrt Zachäus um. Er lässt Jesus bei sich einkehren. Das verändert sein Leben nach vorne, weil Gott ihn frei von seiner Schuld macht. Die Freude darüber ist so groß, dass Zachäus sie ungebremst an andere weitergeben will: „Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“ Zachäus kommt aus der Zuschauerrolle in eine Entscheidungssituation. Jetzt kann er nicht mehr von oben zusehen. Jetzt ist er gefragt. Und es scheint ihm total leicht zu fallen. Als hätte er ein neue Herz. Seine Werte haben sich gewandelt. Obwohl Jesus nichts von ihm gefordert hat.

Bestimmt habt ihr auch so Schlüsselerlebnisse im Leben. Etwas, was ihr erlebt hat, und bei euch hängen geblieben ist. Ich muss an ein Ehepaar denken. Beide haben gut verdient. Sie fuhren zwei auffällig große Autos. Ich weiß von mindestens zwei großen Häusern, die sie hatten. Der Kassierer ihrer Gemeinde sprach sie an, weil sie keinen Gemeindebeitrag zahlten. Und die Frau sagte ihm ganz aufgeregt: „Sollen wir etwa den Zehnten geben? Hast du eine Ahnung, wie viel das bei uns ist?“ Zachäus war da anders gestickt, als er Liebe von Jesus kennen gelernt hatte: „Sollen die Armen versuchen, das Ihre zu geben. Ich kann die Hälfte geben und es geht mir immer noch gut.“

Wann bist du zuletzt auf einen Baum geklettert? Wann hast du dein Leben zuletzt aus einer anderen Perspektive angesehen? Wann bist du zuletzt überwältigt gewesen von der Liebe Jesu, dass er deinen Namen gerufen hat? Wenn der Alltag ausgehebelt wird, durch Urlaub, während einer Einkehrzeit, aber auch durch Krankheit oder in einer Krise, da ver-
ändert sich der Blickwinkel auf unser Leben.

Zachäus wollte nur Jesus sehen. Wir alle sind zunächst einmal Zuschauer. Wir kommen neugierig, vielleicht ohne jede Erwartung. „Komm schnell herunter, ich will heute bei dir einkehren!“ sagt Jesus. Offensichtlich ist Eile geboten, wenn Jesus Menschen anspricht.  Wenn man sein Wort noch im Ohr hat, kann man sich am besten entscheiden. Dreierlei höre ich aus dieser Begegnung mit Zachäus:

  1. Gebt niemanden verloren. Sprecht die an, die es scheinbar nicht wert sind, die von den Menschen mit Titeln versehen werden.
  2. Du bist nicht verloren. Egal, was für eine Schuld und Geschichte du mitbringst. Jesus spricht dich mit Namen an und will bei dir wohnen.
    1. Wenn Jesus dich anspricht, dann zögere nicht. Tu sofort, was du von ihm gehört hast.

Amen.
(Ich habe mit Gewinn gelesen und profitiert aus der Predigt von Rahel Kießecker in Wain 2013 www.predigtpreis.de)

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