Lukas 15, 8-10 Das Verlorene suchen

08.01.2023

Das neue Jahr ist gerade eine Woche alt   und der Kalender ist schon voller Termine. Wenn ich allein an die Jahresplanung unserer Gemeinde denke. Ich will das gar nicht alles aufzählen. Wie schaffen wir das? Das schaffen wir gar nicht! Nicht so, wie wir es uns wünschen. Dass Gott Menschen erreicht, dass Menschen durch Christus neu werden, dass wir ihn neu hören, dass er uns neu erreicht, das haben wir doch alles nicht einfach in unserer Hand. ER muss es tun. Was ER tun wird im neuen Jahr, das wird alles entscheiden. Niemand weiß, wie es in einem Jahr aussieht. In vielen Bereichen unseres Lebens. Wir haben doch unser Leben nicht in unserer Hand.

Viele Aufgaben warten auf uns. Jede und jeder von uns wird sein Leben, seinen Alltag zu bewältigen haben. Es wird neue Fragen geben, Herausforderungen, die wir meistern müssen. Sorgen vielleicht, die wir zu bewältigen haben. Ich habe immer eine To-Do-Liste liegen, was zu tun ist. Und immer kommt etwas Neues dazu. Euch geht es nicht anders. Und ganz schnell denkt man: Das, was wir tun können, was wir planen, was uns widerfahren wird, das ist das Wichtigste, das ist die Wirklichkeit, in der wir 2023 leben.

Ich möchte ein Gegengewicht dazu setzen. Ich sage, Gott ist die eigentliche Wirklichkeit. Und ich sage: Meistens leben wir an dieser Wirklichkeit vorbei. Wir halten vieles vieles für viel realer als Gott in unserem Leben. Niemand muss bei dem, was ich sage, mitgehen. Jede und jeder kann selbst überlegen, was auf sie oder ihn zutrifft. Meine These, meine Behauptung aber lautet: Wir sind in unserem Leben die allermeiste Zeit mit uns selbst beschäftigt. Was wir planen, was wir tun können. Und wir sind es so sehr, dass wir Gott dabei aus den Augen verlieren. Gott spielt schnell nur eine Nebenrolle in unserem Leben.

Wir meinen, unser Alltag mit seinen vielen Aufgaben, das sei die eigentliche Wirklichkeit, was unser Leben ausmacht, worauf es ankommt, worauf alles ruht. Der Grund von allem aber, was ist, von allem, was wird, das ist Gott. Meine These ist: Wer Zeit für Gott hat, wer ihn wahrnimmt, bei sich aufnimmt, wer mit ihm rechnet, wer immer wieder eins mit ihm wird, sich selbst Gott hinhält, der stellt sich der wahren Realität. Und wenn man das tut, wenn das stimmt, das Gott die wahre Realität ist, dann tritt alles dahinter zurück. Dann sucht man ganz zuerst ihn.

Ich behaupte, niemand muss mir für sich selbst recht geben, niemand muss da mitgehen, jede und jeder kann sich selbst prüfen, aber ich behaupte: Wir geben der wahren Wirklichkeit in uns nur wenig Raum. Wir leben ganz schnell sehr wenig mit Christus verbunden. Er will unser Licht sein, unsere Liebe und unsere Freude. Er lebt in uns durch seinen Heiligen Geist. Und ich behaupte, dass sein Licht in uns, durch unseren Alltag sehr leicht verschüttet wird.

Christ zu sein heißt, mit Christus verbunden zu sein. Johannes nennt das „in Christus sein“.
Ganz zuerst sucht Christus uns. Das glaube ich. Weil er uns liebt, sucht er unsere Gemeinschaft, unsere Liebe. Nicht zuerst unsere Werke, das, was wir tun.

Ich lese uns ein kleines Gleichnis von Jesu vor. Lukas 15, 8 und 9:

8 Welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte.

Eine Frau. Sie hat zehn Münzen. Zehn Drachmen. Eine davon ist plötzlich weg. Vielleicht war es ihre Rücklage fürs Alter, ihr Notgroschen. Auf jeden Fall fehlt jetzt eine. Zehn ist zehn. Zehn ist die Zahl der Ganzheit. Wenn eine Münze fehlt, dann sind die Neun uninteressant. Sie sucht.  Wir wissen alle, wie man manchmal sucht. Es ist zum Verrücktwerden. Sie zündet ein Licht an, nimmt jedes Möbel hoch, sieht einmal und noch einmal und noch einmal an der gleichen Stelle. Sie holt sich ein Palmzweig und fegt ihr Haus aus. ie sucht mit allem, was ihr möglich ist, ihre verlorene Münze.

Die Frau ist in eine Situation geraten, die der unseren gleicht. Sie hat eine Drachme verloren und mit dieser Münze ein Stück von sich selbst. Sie hat ihre Ganzheit verloren, ihren Frieden, ihre Mitte. Diese Münze muss sie wiederfinden! Sie lässt alles andere stehen und liegen. Sie unterbricht ihren Alltag.  Bis sie sie gefunden hat. Jetzt wird keine Wäsche gewaschen. Jetzt wird nicht eingekauft. Jetzt wird nicht gekocht und auch kein Kranker besucht. Alles liegt an dieser Münze.

Wir tun vieles, niemand muss mir darin recht geben, jede und jeder prüfe sich selbst. Wir tun vieles, auch viel Frommes, auch viel Gutes, und haben unsere Mitte verloren, wenn wir diese Nähe zu Jesus verloren haben. Da sprudelt keine Quelle mehr in uns. Wir schöpfen aus unserer Kraft.

Wir sind geschaffen zum Bilde Gottes, ihm als Gegenüber. Wir sind Menschen und wir werden zu Menschen, indem wir ihn ansehen. Mit und vor ihm leben. Und wir können das Bild Gottes in uns verlieren, wie die Frau ihren Groschen. Wir können die wahre Realität in uns verlieren. Ich will es niemandem einreden, aber ich denke, das geht auch bei uns Christen schnell, dass wir etwas ganz Tiefes, Wunderbares, Helles, Tröstliches, Heiliges in uns verschütten; verlieren, um es mit unserem Gleichnis zu sagen.

Um zu suchen, was verloren ist, müssen wir zunächst einmal eine Lampe anzünden. In unsere Seele schauen. Es durchhalten, vielleicht aushalten, dass das Licht in alle Ecken unserer Seele leuchtet. Das ist kein Geheimnis, dass uns alle sehr viel Unbewusstes leitet. Wir durchschauen uns nicht, sind uns über uns selbst nicht im Klaren. Uns Unbewusstes, Menschen, die uns geprägt haben, Erlebnisse, die Spuren hinterlassen haben, Ängste, Gefühle, von denen wir nicht wissen, wo sie herkommen, lenken uns.

Warum reden wir wie wir reden? Warum fühlen wir wie wir fühlen? Warum reagieren wir so uns nicht anders? Warum fliehen wir vor manchem? Wie kann die Realität Gottes in uns mehr prägen, uns erneuern? Wie können wir von seinem Geist erfüllt leben? Wir müssen unser Haus ausfegen. Da hat sich ggf. viel Staub und Schmutz angesammelt. Oder wir haben Gottes Silbermünze in uns zugestellt durch die Möbel, die wir aufgestellt haben. Wenn wir dieses große Wunderbare, Gott in uns, verloren haben, dann müssen wir es suchen.

Man kann es so sagen: Gott will in allen deinen inneren Räumen zuhause sein, in allem, was du fühlst, was dich ausmacht. Ich möchte es umgekehrt sagen: Du wirst frei, du wirst stark,  ein großer Friede und ein von Gott geklärtes, geheiltes Leben zieht bei dir ein, wenn du in allen deinen inneren Räumen mit Gott wohnst. Du musst Gottes Silbermünze in dir nicht suchen, aber du versäumst so viel, wenn Gott, der dich liebt und dich heilen will, nur eine Nebenrolle in deinem Leben spielt.

Was ist die Lampe, mit der wir in uns leuchten? Die Lampe kann die Bibel sein, aber sie ist es nicht automatisch. Wenn man Gottes Wort mit dem Herzen hört, dann leuchtet es in uns. Mit dem Herzen hören, das heißt es in uns aufnehmen. Es schmecken, kauen, nicht nur für einen Moment mit den Ohren hören. Sich öffnen. Nicht nur mit dem Verstand. Es zulassen, dass Gottes Wort mich trifft. Es meditieren. Gottes Worte im Herzen bewegen, wie es Maria tat.

Ich glaube, Licht in diesem Zusammenhang, das Licht, das unsere Seele braucht, ist unsererseits ganz zuerst Ehrlichkeit. Nichts verstecken. Vor sich selbst nicht und vor Gott nicht. Das Licht kann auch in Gesprächen in unsere Seele leuchten, in der Seelsorge, zusammen mit einem geistlichen Begleiter, vielleicht in einer Klausur, ein paar Tage in einem Kloster.

Wären wir hier auf einer solchen Klausur, hätten wir uns zu stillen Tagen zurückgezogen, um uns selbst bei Gott zu finden oder Gott in uns zu finden, hätte ich eine Idee für eine Gebetsübung: Jede und jeder von uns malt sein Lebenshaus. Ganz einfach. Es kommt nicht auf Schönheit an. Ein Haus im Querschnitt mit mehreren Zimmern. Was gibt es für Räume in deinem Leben? Du kannst sie beschriften auf deiner Zeichnung. Familie, Beruf, Ehe, der Umgang mit seinem Körper und deinen Ressourcen, ein Raum, in dem vergangene Geschichten aus deinem Leben aufbewahrt werden.

Was befindet sich im Keller von deinem Lebenshaus? Gibt es verschlossene Räume, zu denen du selbst keinen Zutritt hast? Gibt es Räume in dir, vor denen du Angst hast, um die du immer einen Bogen machst? Sprengstofflager sozusagen, denen niemand zu nahe kommen darf? In welchen Räumen hältst du dich am meisten auf? In welche inneren Räume lädst du Gäste ein? Wo kannst du dich öffnen? Was darf niemand sehen? Bist du der Herr in allen deinen Räumen? Oder wohnen da noch viele andere Herren? Wie viel Hoffnung, wie viel Freude, wie viel Grundvertrauen lebt in deinem Haus?

Das Gleichnis vom verlorenen Groschen wurde schon sehr früh auch so ausgelegt, dass wir unseren lebendigen Glauben oder Christus im Leben verloren haben und ihn suchen. Der Mystiker Johannes Tauler meinte im 14. Jhdt., wenn dein Leben in Krisen gerät, dass dann Gott selbst in dein Haus kommt und die Drachme in dir wieder sucht und er dir hilft gerade in schweren Zeiten, den Schatz in dir wieder zu finden. Gott würde es genauso machen wie die Frau, meint Tauler, und jedes Möbelstück anheben, jeden Stuhl umdrehen, um die Drachme in dir wieder zu finden. Vielleicht liegt sie ja gerade da, wo du dich am besten eingerichtet hast.

Ich habe Kopien vorbereitet mit leeren Lebenshäusern. Wer sich die Zeit mit Gott nehmen möchte, kann sich eine Kopie mitnehmen. Die Räume beschriften. Vielleicht noch etwas hinzuschreiben. Aber in jedem Fall dann mit Jesus betend in Ruhe durch alle Räume gehen. Ihm sagen, etwas mir dazu einfällt, was mir wichtig ist, ihn einlassen. Man kann das schweigend tun oder leise, oder laut. 15 oder 20 Minuten mit Jesus durch sein inneres Haus gehen und laut mit ihm sprechen. Danke sagen. Um Vergebung bitten. Bitten. Klagen. Das laute Beten hat den Vorteil, mehr noch, wenn man es aufschreibt, dass man Worte finden muss für das, was man fühlt oder denkt. Das kann der Klarheit dienen.

Wir haben heute keine Klausur. Aber ich musste an einen Kurs denken, den wir vor sieben Jahren hier in der Gemeinde erlebt haben. Es ging genau darum: Jesus Raum zu geben. Mit seinen Gefühlen, Gedanken und Sorgen bei ihm anzukommen. Ihn darin zu erleben. Wir waren etwa 30 Personen. Immer für eine Woche haben alle den gleichen Bibeltext gelesen und sollten über diesen Text ins Gebet kommen. Einmal pro Woche haben wir uns getroffen. Wir haben uns in Dreiergruppen ausgetauscht. Jede und jeder hat erzählt, wie es ihr oder ihm ging mit dem Bibeltext und den persönlichen Gebeten. Die beiden anderen sollten nur zuhören. Am Ende sollten die drei füreinander beten. Jeweils ein Bibliodrama gehörte zu den wöchentlichen Treffen. Es wurde investiert in die persönliche Christusbeziehung. Sehr gerne würde ich so etwas einmal wiederholen. Bitte sprecht mich nach dem Gottesdienst an, falls ihr interessiert seid.

Du hast einen Schatz in deinem Haus! Wenn du ihn gefunden hast, fällt es dir leicht, alles andere hintenanzustellen. Und dann läufst du zu deinen Nachbarinnen und erzählst es. Es läuft einfach über. Du kannst deine Freude nicht für dich behalten.

„Genauso wird Freude sein im Himmel über einen einzigen Sünder, der umkehrt!“ (Vers 10) sagt Jesus. Eigentlich ist Gott es, der sucht und sich überschwänglich freut. Jesus vergleicht seinen himmlischen Vater mit dieser armen Frau. Welten liegen zwischen ihnen: Auf der einen Seite die Frau mit ihren kümmerlichen Erspar­nissen, auf der anderen Seite der allmächtige König, dem die ganze Welt gehört. Es gibt nur eine Gemeinsam­keit: Die Traurigkeit über das Verlorene. Wie die arme Frau über die verlorene Drachme trauerte, so trauert Gott über jeden Menschen, der sich von ihm entfremdet hat.

Und Gott sucht wie diese Frau. Fleißig. Immer wieder. Nicht nur auf einem Weg. Nicht nur mit einer Methode. Er macht ein Licht an, hebt alle Möbel, fegt das Haus aus. Er sucht das Verlorene durch Predigten, Erlebnisse, Gespräche. Und er findet und freut sich wie diese Frau. Wenn Menschen zum Glauben kommen, wenn Christen ihren lebendigen Glauben wiederfinden, wenn Menschen Vergebung erfahren, wenn Christen ihre Liebe zu ihm neu entdecken, wenn Menschen sich taufen lassen. „So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der umkehrt.“ Auch Gott kann seine Freude nicht für sich behalten. Er feiert mit den Engeln ein Freudenfest.

Drei Gleichnisse finden wir in Lukas 15. Das ist eine Trilogie. Das verlorene Schaf, den verlorenen Groschen und den verlorenen Sohn. Alle drei haben die überschwängliche Freude gemeinsam, wenn das Verlorene wieder gefunden wird.

Der Hirte freut sich überschwänglich und feiert mit seinen Freunden. Die Frau läuft zu ihren Nachbarinnen. Der Vater läuft dem verlorenen Sohn entgegen, der wieder zu ihm zurückkommt. Wer sich so freut, muss das Verlorene sehr vermisst haben, der muss unruhig und voller Sehnsucht gewesen sein bei der Suche. Wenn Gott Menschen so liebt, dann weiß man, was er für einen Schmerz hat, wenn Menschen sich von ihm entfernen.

Haben wir, hast du den Schatz in dir verloren? Spielt Gott eine Nebenrolle in deinem Leben? Hast du die wahre Realität in dir, Gott selbst, zugeschüttet? Er sucht mit, wenn du das Verlorene suchst. Und er freut sich mit allen seinen Engeln, wenn du es wieder gefunden hast.

Amen

Ich bete:

Vater im Himmel, erfülle du mein Haus mit deinem Licht.
Zeige mir, wo ich den Silbergroschen in mir verstellt habe.
Zeige mir, wo ich dein Bild in mir vergraben habe
unter meinen Sorgen, meinen Ängsten, meiner Traurigkeit, meiner Geschäftigkeit.
Räume du in mir weg, was dein Bild in mir verstellt.
Wohne du in mir, damit ich alle Räume meines Hauses mir dir bewohne.
Befreie mich zu einer unverstellten Freude an dir,
zu einer unverstellten Liebe zu dir.

Amen

Profitiert habe ich für dies Predigt von Anselm Grün, Exerzitien für den Alltag, 20089, S. 21ff,
und von www.Predigtkasten.de, Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis 2015.

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