Lukas 2, 1-7 Gott will zu den Menschen

Heiligabend 2022

(Die Geschichte von Vater Martin, die ich im zweiten Teil der
Predigt erwähne, ging als Kindergeschichte voraus.)

Ich lese aus dem Lukasevangelium, aus dem zweiten Kapitel die ersten sieben Verse nach der Übersetzung von Martin Luther:

1Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
4Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Gott will zu den Menschen. Das feiern wir Weihnachten. Die Kluft zwischen Gott und Menschen ist unendlich groß. Gott ist heilig, wir sind Sünder. Gott ist ewig, wir sind endlich. Gott ist die Liebe, unsere Liebe ist an allen Enden mangelhaft. Gott lebt nicht einfach in dieser Welt, in Raum und Zeit, in unseren drei Dimensionen. Gott lebt in einer anderen Welt, unfassbar, unzugänglich für uns. Die Kluft ist unendlich groß.

Gott aber will zu den Menschen! Weil sie zu ihm kommen sollen! Weil er sie liebt. Sie sollen nicht verloren gehen, sie sollen nicht ohne ihn leben. Gott will nahe an die Menschen heran. Um sich ihrer zu erbarmen. Um sie zu rufen. Um sich ihnen zu zeigen. Um ihnen leben zu helfen.  Um ihnen Schuld zu vergeben. Um Friede, Freude und Freiheit in ihr Leben zu bringen. Gott will unser Leben mit uns teilen und er will sich uns schenken. Das feiern wir Weihnachten. Darum ist Gott Mensch geworden.

Der Bericht von dieser Nacht in Bethlehem beginnt nicht mit den Worten „Es war einmal“. Hier wird kein Märchen erzählt, von dem niemand prüfen kann, wo und wann das passiert sein soll. Die Weihnachtsgeschichte beginnt:  1Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.

Augustus war Kaiser in Rom. Ein Großneffe von Julius Cäsar. Herrscher über das römische Reich 31 vor bis 14 nach Christi Geburt. Ein weiser Herrscher. Augustus unterteilte sein Reich in Provinzen, denen jeweils ein Prokurator vorstand, ein Statt­halter, der nur dem Kaiser in Rom und dem römischen Senat Rechen­schaft schuldig war. Der Statthalter der Provinz Syrien,  zu der Judäa gehörte, hieß Quirinius. Quirinius wurde 45 vor Christus in der Nähe von Rom geboren. 14 Jahre nach Christi Geburt ging er zurück nach Rom. Das kann man bei Wikipedia oder in Geschichtsbüchern nachlesen.

Lukas rekurriert am Anfang seiner Weihnachtsgeschichte auf historische Personen, die jeder kannte: Was hier erzählt wird, ist in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort geschehen. Augustus will wissen, wie viele steuerpflichtige Menschen in welcher Provinz leben. So kommt es, dass Josef und Maria, seine anvertraute Frau, sich auf die Reise nach Bethlehem machen. Rund 1000 km von Nazareth, wo sie lebten.

Bethlehem ist die Stadt Davids. Da wurde der berühmte erste König Israels geboren. In Bethlehem sollten sich nun alle seine Nachkommen registrieren lassen. In Bethlehem soll auch einmal der Messias geboren werde. Das hatte der Prophet Micha vorausgesagt (Mi 5,5). Der Befehl eines römischen Kaisers sorgt dafür, dass dies auch passiert. In Bethlehem wird der Messias geboren, weil Augustus eine Volkszählung durchführt.

Gott will zu den Menschen und er ist zu uns gekommen. Ein Mal. Zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Diese heilige Nacht gibt es nur ein Mal. Das Christuskind kommt nicht alle Jahre wieder. Aber wir denken jedes Jahr wieder daran, dass es gekommen ist. Wir feiern seinen Geburtstag! Aber er wird nicht jedes Jahr neu geboren. Ein für alle Mal ist Gott in unsere Welt gekommen und hat sich in Jesus Christus gezeigt. Und in allem, was Jesus getan und gesagt hat kann man es ablesen: Gott will zu den Menschen!

Schon zu Weihnachten kann man sehen, wie Gott sich den Menschen nähert: Gott macht sich klein. Gott macht sich verletzlich. Er kommt nicht mit Gewalt. Er wird den Armen ein Armer. An dem Leben von Jesus kann man sehen, wie Gott zu den Menschen kommt: Zuerst ist er bei denen, auf die andere herabsehen. Die Hirten könnten auch dazu gehören. Jesus geht zu denen und lässt sie zu sich, die in der Gesellschaft nicht zählen, die von andere verurteilt werden. Frauen können sich Jesus nahen und ihre Fragen stellen, ihm ihre Nöte bringen. Sehr unüblich damals. Eltern bringen ihre Kinder zu ihm. Kranke oder Belastete kommen zu ihm oder werden gebracht: Sie alle sind bei Jesus gut aufgehoben. Sie alle sind Gott willkommen. Gott will zu den Menschen kommen, das feiern wir.

Bei Jesus kann man sehen, wie Gott sich Menschen nähert: Jesus lässt keinen hungrig gehen. Jesus lässt keinen durstig stehen. Jesus beschämt niemanden. Von einer stadtbekannten Sünderin, die ihn ehren will, die seine Nähe sucht, die weiß, was sie ihm zu verdanken hat, von ihr lässt er sich vor den Augen frommer Männer die Füße wachsen. Jesus heilt zerbrochene Herzen. Er gibt den Atemlosen Luft. Er erfreut und ermutigt Mühselige und Beladene. Ausdrücklich ruft er gerade sie zu sich. (Matth 11,28)

Gott will zu Menschen kommen. Wie er das tut, sehen wir an Jesus. Die Geburt in Bethlehem ist einmalig. Das Christkind kommt nicht alle Jahre wieder auf die Erde nieder! Aber Gott will heute noch zu den Menschen kommen. Nicht als das Kind in der Krippe, sondern als der Auferstandene. Wie Gott sich Menschen heute noch nähert, können wir immer noch an Jesus sehen. Er ist bei denen, die arm sind, bei Menschen, die von anderen vergessen werden, bei solchen, die ihr Leben nicht schaffen, bei Menschen, die einsam sind.

Die Satten suchen Jesus nicht. Die mit sich selbst Zufriedenen haben keine Sehnsucht nach ihm. Was sollte er ihnen noch schenken? Jesus ist bei denen, die ihn brauchen.  Die Durst nach Leben haben. Er lässt Sünder zu sich kommen. Jesus identifiziert sich mit Menschen in Not. Damals und heute. In einer seiner Reden sagt er: Ich war hungrig, ihr habt mich nicht gespeist. Ich war durstig, ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich war fremd unter euch, ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich war nackt, ihr habt mich nicht gekleidet. Ich war krank, ihr habt nicht für mich gesorgt. Ich war im Gefängnis, ihr habt mich nicht besucht. (Matth 25, 41-43)

Die Geschichte von Vater Martin nimmt ernst, was Jesus gesagt hat. Da wartet einer darauf, dass Jesus ihn besucht. Er will sich von Jesus beschenken lassen. Er will auch seinerseits Jesus beschenken. Das ist doch Weihnachten, sich von Jesus beschenken lassen und erkennen, womit man Jesus, ihm, dem Geburtstagskind, eine Freude machen kann.

Vater Martin merkt gar nicht, dass Jesus ihn gerade besucht, dass Jesus gerade vor ihm steht, in dem alten Mann, den er in sein Haus bittet, in der Mutter und dem Kind, die eine Suppe und ein paar Schuhe bekommen, in dem Jungen, der einen Apfel gestohlen hatte und dessen Schulden er bezahlt. Der Junge wird neu durch das Geschenk von Vater Martin. Er trägt den Korb der Frau, die er gerade noch bestohlen hatte.

Gott will zu den Menschen. Die Heilige Nacht in Bethlehem war einmalig. Aber ein bisschen wird es immer noch Weihnachten, eine heilige Nacht, wenn Menschen anderen Menschen Gottes Liebe bringen. Wenn Menschen andere Menschen mit Gottes Augen sehen. Wenn Menschen wie Vater Martin einem der friert, einen Tee kochen, ihr Essen mit anderen teilen oder ihnen neue Schuhe schenken. Dann ist Gott wieder zu Menschen gekommen.

Einen Wermutstropfen aber habe ich noch für unser Fest. Einen Schatten, eine Traurigkeit, die auch zu Weihnachten gehört. Die Krippe war nicht idyllisch. Sie war ein Tiefpunkt für die Menschwerdung Gottes. Die Krippe war erbärmlich. Als Jesus geboren wurde, war die Stadt überfüllt. Wie ein rappelvoller Weihnachtsmarkt. Man weiß gar nicht mehr, wo man hintreten soll. Es ist kein Platz mehr. So war damals in Bethlehem kein Platz in der Herberge für Jesus.

Das gehört bis heute auch zu Weihnachten. Das erlebt Jesus heute noch.
Es ist alles so voll und es ist kaum noch Platz für Jesus, der doch zu den Menschen will.

Amen.

Gebet

Gott, wir danken dir, dass du uns so sehr liebst, dass du alles überwunden hast, um zu uns zu kommen. Du hast dich selbst erniedrigt, bist Mensch geworden. Du hast unsere Armut geteilt. Du hast deine unendliche Barmherzigkeit in Jesus gezeigt. Jesus hat die Brücke zu dir gebaut und unsere Schuld bezahlt. Darum dürfen wir Vater zu dir sagen und deine Kinder sein. Danke für Menschen, in denen du zu uns gekommen bist, als wir in Not waren. Erfülle uns mit deiner Liebe, das auch wir Menschen sind, die deine Liebe zu anderen Menschen bringen. Amen.

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