Matthäus 26, 36-46 Nicht mein Wille, sondern dein Wille

6.3.2022

Haben Sie auch manchmal Nachtgedanken? Viele Menschen kennen das. Sie liegen im Bett und das Gedanken-Karussell dreht sich. Satzfetzen vom Tag gehen durch den Kopf. Tausend Gedanken gehen hin und her. Was muss ich morgen tun? Woran muss ich denken? Was darf ich nicht vergessen? Man ärgert sich über sich selbst aber man kann nicht abschalten. Es ist Nacht. Es ist Zeit zum Schlafen. Morgen früh klingelt der Wecker. Ich muss jetzt endlich schlafen. Ich bin hellwach. Alle anderen schlafen. Ich nehme ihnen das fast ein bisschen übel. Die schlafen und ich kann nicht schlafen.

Solche Nachtgedanken sind unnötig  und  im Vergleich mit anderen Sorgen harmlos. Sie machen uns Stress, meistens aber geht es um Kleinigkeiten. Aber es gibt auch die andere  Sorte Nachtgedanken. Nachtgedanken voller Sorgen: Wie geht es weiter? Was wird aus uns? Wie soll das alles gut ausgehen? Nachtgedanken voller Angst. Angst um die Existenz, Angst vor der Zukunft, Angst um unser Leben. Nachtgedanken voller Zweifel:  Macht es eigentlich noch Sinn, was wir tun? Gott, wo bist du?

Matthäus erzählt, dass Jesus einmal Nachtgedanken hatte. Die schlimmsten Nachtgedanken, die je einer aushalten musste. Ich lese aus Mt. 26 die Verse 36 bis 46.

36 Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. 37 Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. 38 Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! 39 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! 40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? 41 Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. 42 Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! 43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. 44 Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte. 45 Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. 46 Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Wir kennen Jesu anders: Stark, voller Autorität, souverän, liebevoll, geduldig, fest, so wie er den  Versuchungen des Teufels in der Wüste widerstanden hat. Hier begegnet uns Jesus als einer, der traurig ist, Angst hat, der völlig aufgewühlt ist.

Sie haben das Passahfest gefeiert, Jesus und seine Freunde. So wie alle Juden sich das  wünschen:  In der heiligen Stadt Jerusalem. Mit einem feierlichen Mahl. Lammfleisch, ungesäuertes Brot, bittere Kräuter, Wein. So wie sich das gehört zur Erinnerung an ihre Befreiung aus Ägypten.

Sie haben Passah gefeiert, aber es ist ganz anders gewesen als sonst. Jesus hat seinen Jüngern  davor schon gesagt, was mit ihm in Jerusalem geschehen wird, dass er leiden und sterben wird. Aber irgendwie haben sie das immer verdrängt. Am Passahabend fängt Jesus wieder davon an.  Sehr deutlich. Keiner kann den Gedanke jetzt noch an die Seite schieben. Mein Leib für euch gebrochen, mein Blut für euch vergossen. Jesus wird für sie sterben.

„Einer wird mich verraten“, sagt Jesus und nennt seinen Namen: Judas. Er war sein Jünger, sein Freund,  wie die anderen elf. Aber er verlässt ihren Tisch. Er geht um zu tun, was er für nötig hält. So will er Jesus zwingen, sich als den Messias zu zeigen! Jesus und die anderen elf beenden das Essen wie es sich gehört mit dem Lob Gottes. Und dann begleiten sie Jesus auf den Ölberg, an einen Ort der Gethsemane heißt.

Die Uhr tickt. Judas ist auf dem Weg. Soldaten werden kommen, um Jesus gefangen zu nehmen. Und Jesus hat Angst. Er zittert vor Angst. Er sucht noch einmal einen Rückzugsort auf.  Einen Ort, um zu beten. Er braucht seinen Vater im Himmel. Er muss mit ihm reden. Er will mit seiner Angst zu Gott gehen. Es ist sein Kampf, sein Weg, die letzten Meter muss er alleine gehen. Aber er will seine Jünger in der Nähe haben. „Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete“ sagt er.

Auch wenn sie sein Leid nicht teilen können, es tut gut, Menschen in seiner Nähe zu wissen, vertraute Menschen, die einfach da sind, wenn man Angst hat, wenn man trauert, Menschen, denen man nichts erklären muss, die um ihn wissen. Das müssen nicht viele sein. Nur drei der elf nimmt Jesus noch ein Stück weiter mit, dahin, wo er Angst hat,  leidet,  wo er mit Gott ringen wird. Drei besonders vertraute enge Freunde: Petrus, Jakobus und Johannes.

Die letzten Meter muss er alleine gehen. In der letzten Tiefe können selbst die besten Freunde sein Leid nicht nachvollziehen. In der letzten Tiefe leiden wohl alle Menschen alleine, wenn sie leiden. Dort, ganz allein,  wirft er sich auf den Boden und bittet seinen himmlischen Vater: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Mit anderen Worten: „Bitte nicht! Bitte nicht ich! Bitte nicht so!“

Jesus hat einen eigenen Willen. Er will nicht leiden. Er will nicht gefoltert werden und gekreuzigt. Er geht seinen Weg nicht stoisch, wie ein Held, mutig in seinen Tod. Sterben wäre nicht so schlimm, aber so sterben? Verspottet, gequält, gefoltert? Es ist erlaubt, dass wir widersprechen. Gott im Gebet zu widersprechen ist kein Unglaube, das ist nicht gottlos. Niemand geht gerne schwere Wege, keiner hält gerne Schmerzen aus. Wir dürfen beten: „Gott, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!“ Wir können uns auf Jesus berufen, wenn wir so beten!

Gottes Sohn fragt seinen Vater im Himmel dringend, angstvoll, ob es nicht einen anderen Weg gibt. Sünde und Tod sollen besiegt werden. Aber geht das irgendwie anders? Jesus kämpft auch mit sich selbst. Schafft er das, was da auf ihn zukommt? Hat er so viel Glauben? Wird er es aushalten?

Jesus wirft sich in den Staub. Das Gesicht nach unten. Er betet in der niedrigsten Gebetshaltung. Er demütigt sich.  Er liefert sich Gott aus. Er macht sich zum niedrigsten Knecht. „Wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!“ Und dann legt Jesus im Gebet mit aller Angst, die ihn im Griff hat, sein Leben seinem Vater hin.  „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Mitten in der Angst, mittendrin hält er sich an Gott fest. „Sag, was ich tun soll, und ich tu es!“ „Sag, was du willst, und ich tu es!“ Er gibt seinen Willen in Gottes Willen. Er sagt Ja zu Gottes Weg.

Jetzt hätte so gerne seine Freunde mit wach gesehen. Sie aber schlafen. „Petrus, könnt ihr denn nicht wenigstens eine Stunde mit mir wach bleiben!  Wacht und betet, dass Euch nicht auch die Nachtgedanken packen. Ich weiß wovon ich rede! Wachet und betet, sonst werdet auch ihr in eurem Glauben angegriffen.“ Jesus geht zurück ins Gebet. Er kämpft um sein Ja zu Gottes Willen. Wenn es nicht möglich ist, dass dieser Kelch an mir vorbeigeht, dann werde ich ihn trinken. Sünde und Tod sollen besiegt werden. Dein Wille geschehe.

Jesus sucht seine Freunde. Sie schlafen schon wieder. Drei Mal muss er das erleben. Dreihundert Mal,  drei Millionen Mal, der Milliarden Mal wird er das noch erleben,  wenn er leidet, wenn er nicht schlafen kann, weil er das Leid in der Welt sehen wird. Und seine Jünger  schlafen. Sie sind der Versuchung erlegen! Die Jünger haben auch an seinem Kreuz mit gebaut. Sie können ihre Hände auch nicht in Unschuld waschen.

Jesus geht wieder tief in den Garten und betet alleine. Er weiß, was auf ihn wartet. Er fürchtet sich. Und legt sein Leben doch in Gottes Hand. Ein letztes Mal weckt Jesus seine Jünger. Jetzt ist es so weit: Judas kommt mit den Soldaten. Gleich werden wir Jesus wieder so erleben wie wir ihn kennen: Souverän, mutig und mit voller Autorität verhindert er einen Kampf zwischen seinen Jüngern und den Soldaten und er geht gefasst, im doppelten Sinn gefast,  mit den Soldaten mit. Steht auf. Es ist soweit. Lasst und tun, was Gottes Wille ist! Ich und der Vater sind eins!

Gott ist wirklich ein Mensch geworden. Weihnachten reden wir davon. Gottes Sehnsucht nach uns ist so groß, dass er auf die Erde kommt und wirklich ein Mensch wird. Aber was das heißt, was das bedeutet, das sehen wir in der Nacht im Garten Gethsemane. Der Mensch Jesus leidet, hat Angst, zittert, es treibt ihn den Schweiß auf die Stirn, er hat eine grausame Angst.

Er teilt unsere Gefühle, unsere Angst, Sorgen, unsere Zweifel bis in die Tiefe. Er weiß, was Menschen durchmachen, die in Panik geraten, die nicht wissen wohin mit ihrer Angst, die davor stehen, alles zu verlieren. Er weiß wie es ist, von einem Freund verraten zu werden, und von anderen alleine gelassen zu werden. Er weiß wie es ist, wenn man niemanden mehr hat, wenn man nur noch vor Gott auf die Knie geht, verzweifelt betet und selbst Gott nicht mehr versteht.

Jesus nimmt sein Leiden und Sterben für uns auf sich. Sünde und Tod müssen besiegt werden. Und das geht nur, wenn Gott den Sündern ausgeliefert wird und den Tod erleidet. „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Als Jesus in Gethsemane sagt: Dein Wille geschehe, da erklärt er sich einverstanden: Ich gehe diesen Weg. Denn dann wird es keinen Ort mehr geben, der gottlos ist. Dann gehört alles Gott, Leben und Tod. Und dann sind Tod und Sünde besiegt.

„Dazu ist Christus gestorben und auferstanden, dass er über Tote und Lebende Herr sei“, schreibt Paulus. Weil Jesus sich auf den Weg gemacht hat in den Tod, damals in Gethsemane,  deshalb trennt uns Menschen nichts mehr von ihm,  im Leben nicht und nicht im Tod. Da gibt es keine verschlossene Tür mehr.

Nie wieder sollen wir mit unseren Nachtgedanken alleine sein. Auch in den schlimmsten nicht. Er verspricht uns nicht, dass wir keine Nachtgedanken, keine Angst, keine Schrecken mehr erleben werden. Aber er ist dabei. Und er bleibt wach. Er schläft nicht ein. Er betet weiter, selbst wenn wir schlafen.

In einem Garten brachte Adam das Verderben über die Menschheit. In einem Garten ringt der neue Adam darum, dass Menschen nicht mehr verloren gehen. Jesaja, der Prophet, er hat 500 Jahre vorher von einem Knecht Gottes gesprochen, der für die vielen leiden wird. Jesaja hat geschrieben: „Wer kann aber sein Geschick ermessen? Er war voller Schmerzen und Krankheit. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53).

Amen.

 

Ich habe einiges übernommen aus einer Predigt von Catharina Bluhm, Kreuzkirche-online.de.
Mit Gewinn habe ich auch gelesen die Predigt von Tina Oehm-Ludwig, Versoehungskirche-fulda.de

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