Psalm 139 Gott findet mich wertvoll

17.07.2022

Psalm 139 ist der heutige Predigttext. Vorschläge für eine Überschrift könnten sein: „Gott kennt mich durch und durch.“ „Gott sieht alles.“ „Gott durchschaut mich.“ „Nichts ist Gott verborgen.“ „Gott weiß alles.“ Ist das eine gute Nachricht oder muss uns das Angst machen? Tröstet es dich, dass Gott alles sieht oder beunruhigt es dich?

Psalm 139 ist ein wunderbarer Trostpsalm. Ein großes Zeugnis von der Geborgenheit, die wir in Gott haben dürfen. Eine Erinnerung, dass Gott um die kleinsten inneren Regungen bei uns weiß und auch die großen Zusammenhänge unsers Lebens in seiner Hand hat.

Ich lese die ersten sechs Verse:

Herr, du erforschest mich und kennest mich.
2Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
3Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
4Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles wüsstest.
5Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
6Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

Dass Gott alles von uns weiß, ist für uns ein ungeheurer Trost. „Du erforschst mich!“ hat Martin Luther übersetzt. Die Gute-Nachricht-Bibel übersetzt „Du durchschaust mich!“ „Du suchst mich immer!“ könnte man gut übersetzen. Gott ist immer auf dem Weg zu mir. Wenn ich ihm begegne, dann sieht er mir gerade in die Augen, wie es mir geht. Er liest meine Mimik. Er hört mein Herz ab, was ich gerade fühle. Er kennt meine letzten Schritte, wo ich herkomme, was mich beschäftigt, was mich freut oder unruhig macht.

Vielleicht verstehe ich mich selbst gerade nicht. Ich bin durch den Tag gehetzt, habe meine eigenen Gefühle verdrängt. Vielleicht ist mein Kopf noch voller Bilder und Ereignisse. Ein Gedanke löst den anderen ab. Ein Gefühl löst das andere ab. Gott ist jede kleine innere Regung mitgegangen. Ich muss mich noch ordnen; er sieht und weiß schon alles.

Und überall kommt dann seine Liebe hin. Darum tut es so gut. Überall kommt der heilige Gott hin, der mich liebt. Es gibt keinen Moment in unserem Leben, in dem wir ohne Tadel, ohne Schuld,  perfekt und fehlerfrei vor Gott stehen. Aber der heilige Gott erforscht mich und findet mich mit seiner großen Liebe.

Gott kommt mir immer in Liebe entgegen. Mehr noch: Mir wird bewusst, dass er die ganze Zeit bei allem in seiner Liebe an meiner Seite war. Ich sitze oder stehe, ich liege oder gehe, ich esse oder trinke, ich lache oder bin einsam:  Er ist da. Gott ist immer nahe.

Gerade, dass es der heilige Gott ist, der alle Ungerechtigkeit an mir sieht,   der mich findet und mich liebt,  das tröstet mich. Da wird nichts billig zugedeckt!! Da muss ich nichts verstecken! Selbst wenn er mir die Augen öffnet und ich etwas erkenne, wo ich  schuldig geworden bin: Es ist gut. Es tut gut. Ich komme an, wo ich hingehöre. Bei meinem Vater im Himmel. Ich bin angenommen. Ich werde durchflutet von dem Gott, der mich liebt.

Gott ist uns näher als unser Unterhemd. (Marcel Wildi)  Er sieht mich und er leitet mich.   Das kann man nicht beweisen, aber das kann man erleben.  Er führt nicht alle gleich!  Er leitet jeden und jede sehr individuell, weil er uns kennt.

Ich lese weiter V7-12

7Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
8Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
9Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
10so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –,
12so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag.
Finsternis ist wie das Licht.

Der Beter unternimmt den Versuch, sich gedanklich von Gott zu entfernen. Vielleicht hat er auch Situationen vor Augen, in denen er Gott nicht vor die Augen treten wollte. Vor Gott aber kann man nicht fliehen. Adam und Eva haben versucht, sich zu verstecken. Keine Chance. Jona wollte Gottes Willen nicht tun und wollte fliehen. Keine Chance.

Nehmen wir den Himmel als Beispiel. Ganz oben. So weit oben wie man es sich nur vorstellen kann. Oder nehmen wir das Totenreich als Beispiel. Ganz unten im damaligen Weltbild. Weiter unten geht gar nicht. Du kannst mit der Morgenröte bis ans Ende der Welt fliegen, Du kannst bis an die Enden der Meere fliehen. Gott ist auch da. Er ist schon vor dir da.

Ihr kennt das Märchen von dem Hasen und dem Igel, oder? Der Igel fordert en Hasen heraus. „Ich bin schneller als du!“ Sie machen einen Wettlauf. Die Frau des Igels versteckt sich am Ziel. Hase und Igel laufen los. Der Hase wähnt sich weit im Voraus. Als er aber ankommt, sitzt der Igel schon am Ziel und sagt: „Ik bin all doa!“ Auf Hochdeutsch: „Ich bin schon da.“ – „Ich bin schon da!“ sagt Gott, egal wo du hingehst. Du wirst Gott nicht los. Er sieht und weiß alles. Es gibt keinen gottlosen Ort, wo Gott uns nicht finden würde.

Was daran so tröstlich ist? Gott geht uns nach. Gott gibt uns nicht auf. Es ist Gott, der uns immer wieder findet und festhält. Er ist der aktive Part in unserer Beziehung. Niemand würde bei ihm bleiben, wenn er uns nicht finden und halten würde, wo wir uns verlaufen haben.

Gott findet uns im Himmel, bei den Toten, am Ende der Meere. Und dann setzt er sich nicht tatenlos an unsere Seite. Er liebt dich zurecht. Er führt dich heraus. Er greift deine rechte Hand, hilft dir aufstehen und seinen neuen Weg finden. „So würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Bekennt der Beter in Vers 10.

Wenn ich sage „Finsternis möge mich decken!“ Es ist alles aus. Ich kann oder will nicht mehr. Es gibt keinen Ausweg, kein Licht am Ende des Tunnels. „Nacht statt Licht soll um mich sein!“ „So wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht!“ (Vers 12)

Es gibt dunkle Tage. Schlimme Tage. Da packt uns die Angst. Wir sehen nur das Schlechte, das Dunkle. Wir geraten in Panik oder in tiefe Trauer. Wir verlieren allen Mut. „Nacht statt Licht soll um mich sein!“ sagen wir. Und Gott macht ein Licht an. Ich kann weitergehen. Sein Licht reicht. Mitten in der Nacht erleben wir seine Nähe, sein gutes Wort,  Freude an ihm, Friede über unsere Situation, stehen wieder auf, haben wieder Mut. Ja, da ist Nacht. Ja, da ist Dunkel. Aber es ist nicht alles dunkel. Da ist auch Licht.  Es ist hell in der Nacht, wie bei Vollmond. Ich kann  sitzen, stehen, gehen, liegen, lachen, einsam sein   und es ist Licht. Ich bin nicht alleine. Gott ist an meiner Seite. Seine Rechte führt mich. Finsternis wird Licht.

Ich lese weiter. Der Beter blickt zurück und nach vorne in seinem Leben. Er erkennt, dass er von Anfang an von Gott gewollt ist.

13Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.
14Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
15Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde, da ich gebildet wurde unten in der Erde. 16Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.
17Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!
18Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Wenn ich aufwache, bin ich noch immer bei dir.

Als du noch im Leib deiner Mutter warst, hat Gott sich gefreut. Er hat dich Mutterleib geformt. Du bist gewollt und geliebt von Beginn an. Jeremia, der große leidende Prophet,  findet seinen Halt darin. Gott tröstet ihn:  „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. (Jer. 1,5) Jesaja bekommt denselben Zuspruch: „Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an,  er hat an meinen Namen gedacht, als ich noch im Schoss der Mutter war.“ (Jes. 49,1)

Gott hat einen Plan, eine Idee mit unserem Leben. Das heißt nicht, dass das Leben nur schön würde. Das können wir auch an den Propheten sehen. Aber du bist sein Zeugnis mit deinem Leben. Auch mit dem, was schwer ist. Er hat es vorher gesehen. Alle deine Tage waren in sein Buch geschrieben, lesen wir. Jedes geborene Kind ist eine Wiederholung der Schöpfungsgeschichte. Wie er Adam und Eva gewollt hat, so hat er dich gewollt. „Er hat uns gebildet unter der Erde“ lesen wir. Als hätte er Erde genommen und dich geformt. Ganz am Anfang. Jedes Kind im Mutterleib ist ein Wunder. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele!“ (V 14) Was für ein Trost! Was für ein Zuspruch! Was für eine Selbsterkenntnis: Ich bin wunderbar gemacht!

Wie geht es dir damit? Wie siehst du dich, wenn du vor dem Spiegel stehst? Hast du nicht viel zu dicke Beine? Oder viel zu dünne Beine? Dein Kinn ist weit vorgerückt. Deine Ohren stehen ab. Du hast grüne Augen und blaue wären so viel schöner? Wie gefällt dir deine Kleidung? Und wie gefällt dir dein Charakter? Regierst du, agierst du, redest du, schweigst du immer so, wie es dir gefällt? Kannst du dich vor Gott stellen und sagen: „Danke, Herr, dass ich wunderbar gemacht bin!?“

Du darfst dich vor Gott stellen und sagen: „Ich bin wunderbar!“ Wunderbar heißt nicht perfekt. Niemand ist vollkommen. Keiner und keine entspricht hundertprozentig den eigenen Wünschen oder den Vorstellungen anderer. Aber du bist ein Original. Einzigartig. Gewollt. Gut so. Wer soll deinen Wert bestimmen? Wessen Urteil ist dir wichtig? Von wessen Beurteilungen machst du dich abhängig? Wer hat das erste und letzte  Wort über dich zu sprechen? Du darfst Du sein. Als Gottes geliebter Mensch! „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ Wer so staunen lernt über sich selbst, der hat auch die Freiheit über andere zu staunen, sie anzunehmen, sie zu lieben, für sie da zu sein.

Ich lese weiter. Die nächsten Verse sind wie ein Bruch. Der Psalmbeter hat Feinde. Menschen, die ihn von Gottes Weg abbringen wollen.

19Ach, Gott, wolltest du doch den Frevler töten! Dass doch die Blutgierigen von mir wichen! 20Denn voller Tücke reden sie von dir, und deine Feinde erheben sich ohne Ursache. 21Sollte ich nicht hassen, Herr, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben? 22Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.

Das liest sich sehr sperrig, widersprüchlich, wenn wir an Jesus denken. Hat er nicht gesagt, wir sollen unsere Feinde lieben? Hat er nicht gesagt, wir werden verurteilt, wenn wir andere verurteilen? Hat er nicht gesagt, wir sollen die andere Wange auch noch hinhalten, wenn wir geohrfeigt und so erniedrigt erden werden? „Den Alten ist gesagt“, predigt Jesus, „ich aber sage euch!“ „Ein neues Gebot gebe ich euch!“

Was kann man positiv aus diesen Versen nehmen?

Erstens: Wir dürfen offen sprechen vor Gott. Auch unsere Wut, unseren Zorn, wenn wir verletzt und angegriffen werden: Wir dürfen es vor Gott aussprechen.

Zweitens: Es geht um Gottes Sache. Der Beter weiß sich auf Gottes Seite. Eben darum wird er von anderen angegriffen. Sie wollen ihn abbringen von seinem Weg mit Gott. Sie vertrauen Gott nicht. Der Beter sagt nicht „ich werde angegriffen“, sondern „über dich reden sie voller Tücke“, „über dich erheben sie sich.“

Drittens: Der Beter greift nicht selber an. Er greift nicht zur Waffe. Er überlässt Gott das Gericht. Sie stellen sich gegen Gott. Er soll urteilen. Er soll das Gericht vollziehen. „Die Rache ist mein!“ spricht der Herr, (5. Mo 32,35) Er wird selber für Gerechtigkeit sorgen. Du brauchst nicht gegen andere zu kämpfen.

Das ist ein Versuch, Positives in diesen Versen zu finden: Wir dürfen offen beten, es geht um Gottes Sache und wir überlassen Gott das Gericht. Dennoch bleibt es dabei: Als Christen sind wir gehalten, zu vergeben und zu segnen.

Und am Ende von Psalm 139  bittet der Beter, dass Gott sieht, wo er auf einem  falschen Weg ist,  wo er sich irrt, wo er selbst Gottes Weg verlassen hat. Er hat nicht den Anspruch, dass er schon alles richtig erkannt hat. „Bitte leite mich auf deinen Weg, wo ich ihn verlassen habe.“

Ich lese weiter:

23Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
24Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

  • Gott sieht alles. Gott ist immer da. Es ist ihm nichts verborgen.
    Gott ist mir in seiner Liebe näher als mein Unterhemd.
  • Gott selbst ist es, der mir nachgeht, der mich festhält.
    Er ist der immer treue und aktive Part in unserer Beziehung.
  • Selbst vor deiner Sünde schreckt der heilige Gott nicht zurück.
    Er sucht dich, er findet dich, er leitet dich.
  • Ihm gehört das Gericht über dich und über alle Menschen.
  • Und du bist wunderbar!

Amen.

 

Mit Gewinn habe ich Predigten zu Psalm 139 gelesen. So etwa von Marcel Wildi, 28.05.2006, Theologische Hochschule Basel oder von Dr. Michael Rohde, 19.06.2016, EFG Hannover-Walderseestraße.

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