Psalm 90, 1-12 Weise leben angesichts unserer Sterblichkeit

Ewigkeitssonntag 20.11.2022

Ich lese die ersten 12 Verse aus Psalm 90:

1 Ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes.
Herr, seit Menschengedenken warst du unser Schutz.
2 Du, Gott, warst schon, bevor die Berge geboren wurden und die Erde unter Wehen entstand, und du bleibst in alle Ewigkeit. 3 Du sagst zum Menschen: »Werde wieder Staub!« So bringst du ihn dorthin zurück, woher er gekommen ist. 4 Für dich sind tausend Jahre wie ein Tag, so wie gestern – im Nu vergangen, so kurz wie ein paar Nachtstunden.
5 Du lässt die Menschen sterben, sie verschwinden wie ein Traum. Sie sind vergänglich wie das Gras: 6 Morgens noch grünt und blüht es, am Abend schon ist es verwelkt. 7 Weil du zornig bist und dich gegen uns stellst, sind wir verloren und müssen vergehen. 8 Denn du siehst die geheimsten Fehler; alle unsere Vergehen deckst du auf. 9 Dein Zorn liegt schwer auf unserem Leben, darum ist es so flüchtig wie ein Seufzer.
10 Siebzig Jahre sind uns zugemessen, wenn es hoch kommt, achtzig – doch selbst die besten davon sind Mühe und Last! Wie schnell ist alles vorbei und wir sind nicht mehr!
11 Doch wer begreift schon, wie furchtbar dein Zorn ist, und wer nimmt ihn sich zu Herzen? 12 Lass uns erkennen, wie kurz unser Leben ist, damit wir zur Einsicht kommen!

Liebe Gemeinde,

Gottes Ewigkeit und unsere Endlichkeit, das ist das Thema. Unser Leben ist endlich. Gott aber ist ewig. Gott war schon, bevor die Berge wurden, bevor die Welt geschaffen wurde. Gott war schon immer und wird immer sein. Wir aber haben eine begrenzte Zeit für unser Leben hier.

Unser Leben dauert 70 Jahre, wenn es hoch kommt sind es 80. Damals wurden nur sehr wenige Menschen so alt. 70 oder 80 Jahre, das war das absolut Höchste, was man erwarten konnte. Wenn man jung ist, denkt man, das seien viele lange Jahre. Je älter man wird, desto mehr scheint es einem, als seien sie im Flug vergangen. Bei Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag. Aus seiner Sicht, aus Sicht der Ewigkeit, sind wir wie Gras, das morgens blüht  und abends schon verwelkt ist. Wie ein kalter Hauch im Herbst, so schnell ist unser Leben vorbei.

Eine Garantie auf 70 oder 80 Jahre gibt es nicht. Manche Gräser, manche Blumen, werden schon viel früher, mitten am Tag, herausgezogen. Mitten in ihrer Blütezeit.

Unsere Zeit ist begrenzt. Gottes Zeit ist die Ewigkeit. Dabei ist Ewigkeit nicht einfach eine Verlängerung unserer Zeit. Wir stellen uns die Ewigkeit vor wie einen unendlichen Zeitstrahl, eine unendliche Abfolge von Kalendertagen. In der Ewigkeit aber gibt es keine Sonne, keinen Mond, keinen Tag, keine Nacht, keine Jahre, keinen Kalender. Ewigkeit ist nicht einfach mehr Zeit. Ewigkeit ist das Leben in Fülle! Da hört das Leben nie mehr auf, weil Gott das Leben ist. Es gibt kein Leben außerhalb von Gott. Es gibt nur noch Leben bei Gott. Leben ohne Leiden, ohne Schwäche, ohne Sünde.

Wir erinnern uns heute an Menschen, die verstorben sind. Alles, was ihr Leben ausgemacht hat, alles, was sie als Personen ausgemacht hat, ist zu Gott gekommen. Jetzt aber ist es vollendet. Jetzt ist vollkommen, was unvollkommen war. Wirklich die Menschen, von denen wir Abschied genommen haben, sind bei Gott. Aber jetzt sind sie vollendet. Was sie vorher erkannt haben, ist jetzt vervollständigt. Wie sie vorher gelebt haben, wo sie geirrt haben, wo sie schwach waren, das ist jetzt vollkommen. Sie sind ewig geheilt und geheiligt. Frei von allem, was sie hier begrenzt hat. Die Ewigkeit ist mehr noch als eine neue Quantität eine neue Qualität.

Zwischen Geburt und Tod ereignet sich das, was wir Leben nennen. Es ist wie ein Strom, der vorüberfließt.  Wir sind wie Papierschiffchen auf einem Strom. Gerade noch hat man das Schiffchen kommen sehen, schon ist es vorbei und jedes von ihnen wir untergehen. Niemand weiß wann. Nichts ist uns so sicher wie der Tod. Das ist eine Binsenwahrheit! Das weiß jede und jeder. Wir schwimmen auf dem Strom. Niemand kann die Zeit anhalten oder zurückdrehen oder wiederholen oder etwas an Zeit überspringen. Jeden Moment, jeden Tag gibt es nur ein Mal, und er will gelebt werden.

Noch ein tiefes Wissen ist in Psalm 90 festgehalten: Unsere Vergänglichkeit hängt mit Gottes Gericht zusammen. Gott ist das Leben und er will, dass wir leben. Wir sterben, weil wir Sünder sind, weil wir in einer gefallenen Welt leben. Der Tod ist nicht, was Gott will. Darum hat er ihn in Christus überwunden. Er will, dass wir bei ihm in der Ewigkeit leben.

In Psalm 90 lesen wir von Gottes Zorn. Es ist Gottes Zorn, dass wir vergänglich sind. Aber auch sein Zorn hat ein Ziel! Martin Luther hat gesagt, dass Gottes Zorn eine Seite seiner Liebe sei. Gott will Gerechtigkeit herstellen. Aus Liebe. Sein Zorn richtet sich gegen alles, was das Leben schädigt: Lüge, Betrug, Unterdrückung, Gewalt, besonders gegen Schwache, Unbarmherzigkeit, Hass. Gottes Zorn richtet sich gegen alles, was ihm nicht entspricht. Und niemand kann sagen „Ich aber habe nur Gutes getan!“ Das weiß auch Psalm 90. Niemand ist ohne Sünde.  Sein Zorn, der Tod, trifft alle zurecht.

Der Tod ist kein Freund. Er ist ein Feind des Lebens. Aber für die, die mit Christus leben, die auf ihn ihre Hoffnung gesetzt haben, ist der Tod der Übergang in die Ewigkeit, in Gottes Zeit.

Unser Leben ist begrenzt. Was folgern wir daraus? Was macht das mit unserem Leben hier?

Psalm 90 fordert uns zu einem Sichtwandel auf. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“ hat Martin Luther Vers 12 übersetzt. Das Wort „sterben“ steht nicht im ursprünglichen hebräischen Text. Neuere Bibeln übersetzen daher: „Lass uns erkennen, wie kurz unser Leben ist, damit wir zur Einsicht kommen!“ oder „Lehre uns, unsere Tage zählen, damit wir weise leben!“ Wer weise ist, wer klug lebt, verdrängt den Tod nicht. Wer weise ist, denkt nach über seine Endlichkeit und sie oder er zieht Schlüsse daraus.

Erkennen, worauf es ankommt, darum geht es doch im Leben! Die verbleibende Zeit bestmöglich zu nutzen für das, was wichtig ist, das ist weise. Keine Weisheit, die man in der Schule lernt. Keine intellektuelle Klugheit. Aber kein Mensch lebt ohne Ziele. Man kann nicht leben, ohne sein Leben zu investieren. Wo lasse ich meine Tage? Wo lasse ich meine Kraft? Was bestimmt mein Denken und mein Tun?

Wie lebt man klug angesichts des Todes? Das wäre einen Austausch unter uns wert! Ein Gespräch. Diese Frage an sich selbst zuzulassen, das ist der erste Schritt. Den Tod nicht verdrängen, sondern es sich selbst zu fragen, mit anderen darüber sprechen. Wie lebe ich, wie leben wir klug angesichts dessen, dass uns diese Zeit von Gott geschenkt ist und dass sie für jeden von uns irgendwann abläuft?

Vielleicht jeden Tag, den wir erleben, bewusst erleben. – Wichtiges nicht aufschieben. – Sich jeden Tag sich von Gottes Liebe füllen lassen. – Alle Menschen lieben lernen, so wie Gott sie liebt. – Meinen Glauben bekennen. Mich als Christ erkennbar machen. – Welche Spuren willst du in seinem Leben hinterlassen? Was sollen Menschen sagen, die sich an dich erinnern? Welche Spuren willst du bei Menschen hinterlassen haben? – Keinen Tag ohne Blick auf die Ewigkeit leben.

Im antiken Rom gab es bei Triumphzügen von hohen Offizieren einen Diener, der auf dem Triumphwagen hinter dem Geehrten stand und ihm alle paar Minuten einen Satz ins Ohr flüsterte: „Memento mori!“ „Denk daran, du bist sterblich!“ – Bleib auf dem Boden. Überhebe dich nicht. Andere sind in den Kriegen gefallen. Auch du wirst einmal sterben. „Memento mori!“

Psalm 90 lädt uns ein zu einer Sichtkorrektur auf unser Leben. Was ist der Tod? Werden wir das je verstehen? Was ist die Ewigkeit? Werden wir das je fassen können? Aber über den Sinn unseres Lebens, über unser Leben nachzudenken, das macht Sinn. Und das ist das eigentliche Thema von Psalm 90.  Nicht unsere Vergänglichkeit, sondern die Vergeblichkeit eines Lebens. Am Ende nichts zurückzulassen. Nichts zu bewirken, was Bestand hat. Sich wie ein Papierschiffchen treiben zu lassen. Wenn es hoch kommt sind es 90 oder 100 Jahre, und es war am Ende doch alles nur vergebliche Mühe? Das wäre das Schlimmste. Alles eitel. Unser Leben wie ein Hauch, als wäre nichts gewesen.

„Herr, unser Gott, sei freundlich zu uns!“ endet Psalm 90. „Lass unsere Arbeit nicht vergeblich sein! Lass uns gelingen, was wir tun!“Segne das Werk unserer Hände!“ hat Martin Luther übersetzt.

Dass unser Leben endlich ist, ist auch eine Chance. Wir können es nutzen. Unsere Zeit. Viele Gelegenheiten, die nie wieder kommen. Und wir können frei sein von so mancher Sorge und mancher Plackerei, die nichts bringt für die Ewigkeit. Wir können mit anderen Werten leben. Fröhlich und frei. Voller Hoffnung.

Wir erinnern uns heute an Menschen, die verstorben sind. Und unser eigenes Leben sollen wir bedenken. Wir werden uns wiedersehen, das glaube ich. Aber nicht unvollkommen, nicht mit all den Schwächen, die auch zu uns und zu uns als Personen gehören. Wir werden uns vollendet wiedersehen.

Für uns, die wir zurückbleiben, mag es eine lange Zeit sein, bis wir uns wiedersehen, für die Verstorbenen ist die Zeit bis dahin kurzweiliger als für uns. Für sie ist es, als wären wir nur einen Moment getrennt gewesen. Für sie sind 1000 Jahre wie ein Tag.  Sie leben in der Ewigkeit. Ihnen geht es unendlich gut. „Wer Jesus Christus vertraut, der hat das ewige Leben.“  (Vgl. Joh 3,36).

Ich schließe mit einem Zitat von Paulus. Er schreibt den Christen in Thessaloniki. Sie trauern um Verstorbene. Und Paulus schreibt ihnen:

„Geschwister, ihr braucht nicht traurig zu sein wie die Menschen, die keine Hoffnung haben. Wir wissen doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Ebenso gewiss wird Gott auch die Verstorbenen durch Jesus und mit ihm zusammen zum ewigen Leben führen.“ (Vgl. 1Thess 4,13f)

Amen.

 

Profitiert habe ich für diese Predigt von den Predigten von
Barbara Pfister, Uni Zürich, 21.11.22, www.theologie.uzh.ch,
sowie Gabriele Goy (kath.), Stuttgart, 2006, www.predigtpreis.de

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