Psalm 91 Gottes Schutz in unserer Not

Heute hören wir eine Liedpredigt. Eine Predigt zu einem sehr alten Lied. Psalm 91 wollen wir uns gemeinsam ansehen. Ein altes Bekenntnis Israels. Ein Lob Gottes. Gott wird gelobt für seinen Schutz und seine Hilfe in den Nöten des Lebens. Ich lese die ersten sechs Verse aus Psalm 91:

1 Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, 2 der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. 3 Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. 4 Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, 5 dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor dem Pfeil, der des Tages fliegt, 6 vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.

Das Leben ist bedroht. Es läuft nicht alles glatt. Unser Leben, wir selbst sind verletzlich. Von heute auf morgen, von jetzt auf gleich kann sich alles ändern. Niemand ist sicher. Der Psalmdichter nutzt Bilder für das, was unser Leben gefährden kann: Vom Strick des Jägers wird gesprochen: Menschen, die uns Fallen stellen. Verlockende Beute zieht uns an und dann sind wir gefangen. Nicht alles, was im Leben lockt, führt zur Freiheit und zu einer bleibenden Freude.

Von einer verderblichen Pest wird in Psalm 91 gesungen, eine Seuche, die im Finstern schleicht, bei der man die Viren nicht sieht, die unsichtbar nach Menschen greift  und sie ins Verderben bringt. Vielleicht hatten die Menschen damals Angst vor ansteckenden Krankheiten, die zum Tod führen können,  gegen die sie aber nichts machen können, gegen die sie keine Mittel haben. Vielleicht ist die Pest aber auch ein geistliches Bild für eine schleichende Gleichgültigkeit, eine ansteckende Gottlosigkeit, eine Krankheit, die den Glauben erstickt. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat die Sünde die „Krankheit zum Tode“ genannt. Das körperliche und das geistliche Leben ist angefochten.

Von einem Grauen in der Nacht  und  tödlichen Pfeilen, die am Tage fliegen ist die Rede in Psalm 91. Nächte, Tage, Zeiten, in denen man kein Licht mehr sieht. Und plötzliche Treffer, die einen verletzen, lähmen, das ganze Leben ins Wanken bringen.

Psalm 91 ist ein Lob- und Dankpsalm. Wer diesen Psalm singt oder betet, macht sich in Gott fest, findet neue Hoffnung,  der weiß sich von Gott gesehen. Aber zunächst einmal weiß der Beter oder die Sängerin: Dieses Leben ist kein Ponyhof. Es gibt dunkle Tage und es kann böse Wendungen geben. Es gibt kein Leben ohne Schmerzen. In dieser Haltung kommen die Menschen zusammen. Und dann beten sie: 1 Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, 2 der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.

Auch für den Schutz Gottes werden Bilder verwendet: Wer einen Schirm hat,  der bleibt nicht im Regen stehen. Wer einen Schirm hat,  der kann auch im Regen  gehen, der kann weitergehen. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, nicht zufällig, sondern dauerhaft, wer unter dem Schirm des Höchsten sein Zuhause hat, und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der ist geschützt wie in einer Burg, dicke Mauern schützten ihn, dass das Böse nicht wirklich an ihn heran kommt.

Auch der Schatten ist Bild für den Segen. Schatten schützt. Ohne Schatten kein Überleben in der Sonne. Manchmal muss man von Schatten zu Schatten fliehen, springen, weil der Boden so heiß ist. Man verbrennt sich  die Füße, man verbrennt sich  die Haut. Wohl dem, der unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt. Wohl dem, der unter dem Schirm des Höchsten wohnt.

Gott ist kein Knirps,  kein Taschenschirm für die Handtasche, den man mit einem Druckknopf schnell öffnen kann, den man nur für den Notfall immer dabei hat. Der Psalm singt von Menschen, die im Schatten des Allmächtigen wohnen, die bei Gott ihre Burg, ihr Zuhause, gefunden haben.  Bei ihnen ist ein Vertrauen gewachsen, das sie auch dann hält, wenn die Pfeile ihr Leben treffen.

Was sind das für Menschen, die plötzlich, unerwartet, mitten am Tag Pfeile treffen? Kann ich das auch sein? Was sind das für Menschen, die gerade noch gegangen sind, einkaufen waren, gegessen haben, ruhig geschlafen haben, und die jetzt tödlich verwundet am Boden liegen?

Ich kann diesen Psalm im Moment nicht lesen, ohne an Menschen in der Ukraine zu denken. Menschen, die gestern noch spazieren gehen konnten, einkaufen, essen, ruhig schlafen, arbeiten, ihre Eltern, Freunde oder Enkel besuchen. Ganz plötzlich haben sie Pfeile getroffen. Ganz sicher haben viele von ihnen wieder angefangen zu beten, die vorher kaum gebetet haben. Andere waren Teil einer Kirche oder ihrer Gemeinde,  so wie wir,  und sie müssen genauso fliehen. Und sie beten.

Ich will nicht aufhören, Gott zu bitten, dass viele seinen Schutz, seinen Trost und seine Bewahrung in dieser Zeit erleben. Dass sie fliehen können unter seinen Schutz und dass sie Ruhe finden in seinem Schatten. Eine orthodoxe Familie war bei einem Ehepaar unserer Gemeinde untergekommen. Oma, Tochter, zwei Kinder. Und sie sagten,  dass sie jeden Abend beten um Gottes Hilfe und das der Krieg bald zu Ende ist. Ich wünsche es so vielen, die das Schwerste durchmachen, dass sie sagen können, was vor über 2000 Jahren schon Menschen erlebt haben:

Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. 3 Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. 4 Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, 5 dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor dem Pfeil, der des Tages fliegt.

Psalm 91 gebraucht Bilder für die Bedrohungen des Lebens. Und er gebraucht Bilder für den Schutz, den wir bei Gott finden: Seine Treue, seine Zuverlässigkeit ist unser Schirm und unser Schild. Er deckt uns mit seinen Fittichen. Gott wird mit einer Glucke verglichen, die ihre Küken mit ihren Flügeln schützt. Was für ein friedliches Bild in einer so unsicheren Welt.

Ich lese uns weiter Verse, die Verse 9-12 aus Psalm 91:

9 Denn der HERR ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. 10 Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird sich deinem Hause nahen. 11 Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, 12 dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Diese Verse sind ein Segensspruch. Eine Zusage Gottes. Die Verse lesen sich wie eine Garantie, dass dem, der seine Hoffnung auf Gott setzt, nichts Übles begegnen kann. Ich bin sicher, dass viele von uns erzählen könnten, wie Gott ihnen Halt und Trost in der Not war. Und ich bin sicher, dass andere erzählen könnten, dass bei ihnen alles gut ging, dass sie Gott so erlebt haben, dass sie vor allem beschützt wurden. Gott hat sie gesegnet, ihre Familie, ihre Gesundheit, ihre Arbeit. Sie hatten vielleicht kein Corona und sie hat kein böser Pfeil mitten im Leben getroffen. Sie haben nur Gutes erlebt.

Ich muss ein einen  jungen Mann denken, er war Gärtner von Beruf, er war Mitarbeiter auf einer Freizeit; andere kamen zu mir und sagten, der Jörg liege in seinem Bett und weine fürchterlich.  Ich ging zu ihm und er sagte: „Warum geht es mir so gut? Andere haben so viel Leid im Leben. Ich habe das nicht verdient. Mir geht es nur gut!“ Diesen Jörg hat es zum Weinen gebracht vor Freude und Dankbarkeit und zum Mitgefühl für andere.  Sicher sind solche auch heute hier, die dasselbe sagen können. Sie dürfen das Gute annehmen, Gott danken und sie können es für andere einsetzten, andere ermutigen, anderen beistehen.

Auf die Engel in Psalm 91 möchte ich noch einmal eingehen: Vers 11 und 12 lesen wir:

Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, 12 dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Engel sind Boten Gottes. Sowohl das hebräische Wort im Alten Testament (Malach) als auch das griechische im Neuen Testament (Angelos) bedeutet Bote. Engel sind Beauftragte. Gesandte. Sie agieren nicht aus eigenem Willen. In der Regel sagen sie Menschen ein Wort Gottes. Zum Beispiel Maria, dass sie schwanger werden soll, den Hirten, dass der Messias geboren wurde oder der Engel im Grab, der den Frauen sagte, dass Jesus nicht hier sei, sondern auferstanden.

Engel sind dienstbare Geister Gottes, hat Martin Luther gesagt. Anselm Grün scheibt: „Engel sind geschaffene geistige Wesen, (…) aber sie sind keine Personen, (…)  Ein Engel kann ein Impuls sein,  ein Engel kann auch ein Mensch sein, der im richtigen Moment da ist. Ein Engel kann ein Wort sein, das mir auf einmal aufgeht. Aber es gibt (…) auch Erfahrungen, dass jemand so etwas wie einen Engel tatsächlich sieht.“

Engel sind die Finger Gottes, hat es jemand anders versucht, über Engel zu sprechen. Das Wirken der Engel ist ganz eng mit Gottes Wirken verbunden. Drei Engel haben Abraham besucht und zu ihm gesprochen. In 1. Mose 18 aber lesen wir, dass der Herr Mose erschien und dass der Herr durch diese drei Gäste zu ihm  gesprochen hat. (1. Mose 18)

Petrus wird mit Hilfe eines Engels aus dem Gefängnis befreit, später in der Gemeinde erzählt er, wie der Herr ihn befreit hat. (Apg 12) Gott hat durch den Engel eingegriffen. Danach spielt er keine Rolle mehr. Wenn ein Engel vor dir steht oder zu dir spricht, dann steht Gott vor dir und spricht zu dir. Den Engeln wird nicht gedankt! Sie werden nicht gelobt, gepriesen, angebetet. Gott wirkt in ihnen, macht sich in ihnen hörbar, greift ein. Engel sind dienstbare Geister Gottes, Finger Gottes.

Engel können Menschen sein. Gott kann Menschen zu Engeln, machen. Menschen, die zum richtigen Zeitpunkt da waren. Die das Richtige gesagt haben. Die uns verstanden haben und nicht nur rumgenölt. Die mit angefasst haben. Die genau das Richtige zur rechten Zeit getan haben. Engel eben. Menschen können Engel sein aber Engel müssen  keine Menschen sein.

Die erste Aufgabe der Engel ist es, Gottes Boten zu sein. Ihre zweite Aufgabe ist es, Gott und seinen Sohn  anzubeten. Ihr ganzes Wesen ist Anbetung Gottes. Sie können gar nicht aufhören, Gott zu ehren und zu loben. Johannes sieht in einer seiner Visionen unzählig viele Engel um den Thron des Lammes herum, um den Thron Jesu herum, die ihn ohne Aufhören anbeten. (Off 5)

Engel sind Boten, sie beten Christus an, und, das ist ihre dritte Aufgabe: Sie schützen Menschen. Man spricht auch von Schutzengeln, zu Schutzengeln aber finden sich allerhand merkwürdige Theorien. Die Lehre, dass jeder Mensch einen ganz persönlichen Schutzengel habe, der ihn von Geburt bis ans Sterbebett begleitet, halte ich von der Bibel her für nicht begründet und nicht haltbar. Es hat nicht jeder einen persönlichen Schutzengel. Aber Engel können Menschen schützen. Ich glaube, die unsichtbare Welt ist voller Engel.

In den letzten Jahren habe ich zwei Mal erlebt bei Trauergesprächen, dass die Angehörigen sagten, ich solle etwas zu Engeln sagen. Die Verstorbenen hätten Engeln erlebt, davon haben sie erzählt, das verbinden die Trauernden mit ihr oder ihm. In einem Fall war die Verstorbene 1944 auf der Flucht in den Westen. 14 Jahre alt. Allein. Am Rand einer Kleinstadt trifft sie auf eine Frau. Diese lädt sie zu sich nach Hause ein. Sie kann einen Moment schlafen, bekommt einen Kaffee und etwas zum Essen, dann bringt diese Frau die 14-Jährige auf ihrer Flucht auf der Stange eines Herrenrades bis zu einem amerikanischen Kontrollpunkt. Die damals 14-jährige merkt sich den  Namen und die Straße der Frau, die ihr so beigestanden hat.  Nach dem Krieg will sie sie aufsuchen. Weder gab es eine Straße noch eine Frau mit dem Namen. Sie hat sie nie wieder gefunden, nie wieder gesehen.

Im Bibelgespräch haben vor einiger Zeit andere andere Beispiele erzählt. In einem Fall steht ein Mann wild mit den Händen fuchtelnd am Straßenrand. Der Fahrer bremst und kommt knapp vor einem Kind zum Halten, das auf die Straße läuft. Als er sich umsieht, ist der Mann verschwunden. Mit Pater Anselm Grün gesprochen: Es gibt Erfahrungen, dass Menschen so etwas wie Engel sehen.

Dietrich Bonhoeffer war jemand, der mit dem Wirken von Engeln rechnete, die trösten, aufbauen, bewahren. Er nennt sie gute Mächte. Gott ist uns nahe durch diese guten Mächte. Bonhoeffer dichtet: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen. Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Psalm 91 erinnert uns: Das Leben ist kein Honigschlecken. Aber ich will es einmal so sagen: Gott wird uns immer Honig zum Schlecken geben. Wie ein kleines Küken darfst du jederzeit unter seine Fittiche fliehen.  Mag sein, dich hat ein Pfeil getroffen, aber du stehst unter Gottes Schutz.

Psalm 91 endet mit wörtlicher Rede von Gott selbst. Gott spricht jetzt zu einem, der unter seinem Schirm sitzt. Hört doch mal zu. Jede und jeder für sich. Kannst du hören, wie Gott es dir zusagt?

»Er liebt mich, darum will ich ihn erretten; er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.Er ruft mich an, darum will  ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. Ich will ihn sättigen mit langem Leben und will ihm zeigen mein Heil.«  (V 14-16)

Ich möchte es Dir, M. noch einmal zusagen.
(Der Gemeindeleiter wird in diesem Gottesdienst aus seinem Dienst verabschiedet.)

Wir haben dich erlebt als jemand, der unseren Herrn liebt, der ihm und uns dienen will. Du kennst seinen Namen, du weißt wo er wohnt, wo er zu finden ist. Darum wird er dich schützen.

Du rufst unseren Herrn an. Du betest ihn an. Du bittest ihn. Du ehrst ihn und  du brauchst ihn. Er wird dich erhören.

Gott ist bei dir, wenn du in Not bist. Du bist nie ohne seinen Schutz. Seine Engel sind um dich her. Sie werden dich nicht vor jedem Kratzer bewahren, vor jedem Pfeil der fliegt, aber sie werden dich bewahren, dein Leben, deinen Glauben, deine Liebe, deine Hoffnung.

Gott will dich sättigen mit langem Leben und er wird dir sein Heil zeigen.

Stell dir vor, wie Gott mit seinen Engeln am Konferenz­tisch sitzt und ihnen Aufträge erteilt. Und nun stell dir vor, da fällt dein Name! Du kommst vor in dieser himmlischen Konferenz! Gott sieht dich. Gott verliert dich nicht aus dem Blick. Er spannt seinen Schirm auf. Er wirft seinen Schatten, unter dem du bleiben kannst. Gott gibt seinen Engeln dir zugute einen Befehl. Er befiehlt ihnen: Behütet diesen Menschen; achtet sorgsam auf ihn; tragt ihn auf Händen; passt auf, dass er nicht stolpert und zu Fall kommt!

Gottes Engel achten auf dich.
So wollen wir dich segnen und dich unter Gottes Schirm stellen!

Amen.

Zurück