Sie hatten alles gemeinsam

Liebe Geschwister in Gießen,

ich habe euch heute einen Bericht mitgebracht. Einen interessanten und sehr inspirierenden Bericht einer anderen Gemeinde. Da spürt man etwas von einem großen geistlichen Aufbruch.

Es macht Spaß, es ist außerordentlich ermutigend die Geschichte dieser Gemeinde zu hören. Und man wird angesteckt von dem Leben, das man in dieser Gemeinde spürt. Die Sehnsucht, eine fröhliche geistliche Gemeinschaft zu erleben, wir neu entfacht.

Ich lese uns einen Bericht aus der jungen Gemeinde in Jerusalem vor. Es ist kurz nach Pfingsten. Die große Gemeinde ist wie aus dem Nichts entstanden. Tausende haben ihr Leben Jesus anvertraut, haben sich taufen lassen. Eine große, bunte, junge Gemeinde ist entstanden. Ich lese Apg 2, 32-37:

32 All die vielen Menschen, die zum Glauben an Jesus gefunden hatten, waren ein Herz und eine Seele. Niemand von ihnen betrachtete etwas von seinem Besitz als persönliches Eigentum; alles, was sie besaßen, gehörte ihnen gemeinsam. 33 Mit großer Kraft und bestätigt durch Wundertaten bezeugten die Apostel Jesus als den auferstandenen Herrn, und für alle sichtbar lag großer Segen auf der ganzen Gemeinde.34 Es gab unter ihnen niemand, der Not leiden musste. Denn die in der Gemeinde, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften sie, wenn es an etwas fehlte, brachten den Erlös herbei 35 und legten ihn vor den Füßen der Apostel nieder. Das wurde dann unter die Bedürftigen verteilt.  (Gute Nachrichr)

Wenn das nicht ermutigend ist!? Manchmal tut es gut, zurück zu sehen, sich an die Begeisterung der ersten Tage zu erinnern. Alles wurde damals auf den Kopf gestellt. Niemand hat damit gerechnet. Alle waren überrascht. Keiner hätte vor wenigen Wochen oder Monaten gedacht, dass er heute so leben würde. Sie waren überwältigt von der Liebe Gottes, von der Freude, in der sie mit ihm leben konnten. Und sie lebten in einer neuen Gemeinschaft, in einem Miteinander, das keine und keiner von ihnen vorher gekannt hatte. Alles war neu. Und begeisternd.

Nachmachen können wir das nicht. Darum geht es auch nicht, wenn man sich von dem Bericht anderer Christen inspirieren lässt. Sie sind in einer anderen Situation. Aber die Impulse, die sie angetrieben haben, ihre Motive, die Liebe und Freiheit, die man spürt, die steckt an. Dann kommt man auf eigene Ideen, wie man das in seinem Leben oder seiner Gemeinde leben kann.

Alle waren „ein Herz und eine Seele.“ Das ist Martin Luthers Übersetzung. Und diese Formulierung ging schnell in den deutschen Sprachgebrauch über. Alle waren ein Herz und eine Seele. So wie wir diese Worte füllen, bedeutet das totale Harmonie. Gruppenkuscheln. Keine Konflikte. Man liegt sich ständig in den Armen. Ein ständiges seliges Miteinander.

Das war aber schon in Jerusalem nicht so. Es gab Einheimische, Leute, die in Jerusalem wohnten, und viele Zugereiste. Es gab aramäisch sprechende Christen und griechisch sprechende Christen. Es gab natürlich Reiche und Arme, Fremde, die den in und um Jerusalem Lebenden nun auf der Tasche lagen, Juden aus dem Ausland, die Unterkunft und Arbeit suchten. Und natürlich waren sich auch nicht alle einig, die zu einer dieser Gruppen gehörten.

Als ich ein junger Pastor war, sagte mir ein pensionierter Kollege: „Bruder Giebel, es gibt nichts in der Welt, was es nicht auch in der Gemeinde gibt; erschrecken Sie nicht!“ Es sind nicht alle ein Herz und eine Seele. Wenn man die Briefe von Paulus liest, kommt man zu demselben Schluss. Da gab es Streit und Stolz und Geiz, auch sexuelle Verfehlungen in den Gemeinden. Das Miteinander von Freien und Sklaven, von Frauen und Männern musste geklärt werden.

Eine anhaltende Kuschelharmonie wird es auch in Jerusalem nicht gegeben haben. Aber sie hatten eine gemeinsame Basis: tiefe Freude, gemeinsame Erlebnisse und Überzeugungen und Begeisterung, die sie verbunden hat. Wenn es Konflikte gab, dann lagen sie dennoch nicht obenauf und man hat sich nicht zerstritten, innerlich oder äußerlich getrennt deswegen. Man hatte die gleiche Erfahrung gemacht und hatte den gleichen Auftrag in der Welt. „Ein Herz und eine Seele“, das heißt, sie lebten aus der gleichen Quelle und wollten das Selbe.

Und ein ganz besonderes Merkmal der Christen in Jerusalem war, dass keiner seinen Besitz mehr für sein persönliches Eigentum gehalten hat. Bekehrung und Taufe wurden als Eigentumswechsel verstanden. Dem Täufling wird zugesagt: Du bist jetzt ein Kind Gottes. Was ihm gehört, gehört auch dir. Er hat dir jetzt die Ewigkeit und seine Herrlichkeit geschenkt. Du bist jetzt sein Königskind und wirst einmal zur Rechten Gottes im Himmel sitzen und mit ihm regieren.

Umgekehrt wurde der Täufling auf den Namen Jesu getauft. Er selber, sie selber, ich selber und alles was ich bin und was ich habe, wird in der Taufe auf seinen Namen umgeschrieben. Es gehört jetzt ihm. Ich bin ein verantwortlicher Geschäftsführer, ein Verwalter von dem, was er mir anvertraut hat,  aber es gehört nicht mehr mir. Was ich habe ist Teil seines Reiches, seiner Herrschaft. Ich soll in seinem Sinne damit umgehen.

Die ersten Christen nehmen sozusagen ihr Portemonnaie mit uns Taufwasser. Jesus zu gehören, das ist keine Theorie. Das ist real. Das hat Konsequenzen in meiner Haltung zu dem, was er mir anvertraut: Zeitliche, geistliche, körperliche aber auch ganz materielle Gaben: Sie sind mir gegeben zum Wohl des Ganzen! „So gehören wir nun nicht mehr uns selbst, sondern Christus unserem Herrn!“ Das war eine alte Formel nach einer Taufe.

So kommt es dazu, dass die Christen der Urgemeinde, also der allerersten christlichen Gemeinde, sich gegenseitig versorgt haben, finanziell füreinander eingestanden sind. Die Situation ist eine andere wie bei uns heute. Es gab keine funktionierenden Sozialsysteme. Die große Zahl der zugereisten Juden und Judengenossen, die sich taufen ließen und jetzt zur Gemeinde gehörten, forderte große Antworten. Man musste reagieren! Aber man konnte auch reagieren, weil jeder diese Haltung hatte, dass das, was er hatte, Gott gehört. Wir kennen keine einzige Gemeinde der Anfänge, die es genauso gemacht hat wie Jerusalem. Lukas, der die Apostelgeschichte geschrieben hat, fordert es auch nicht. Aber die Situation damals hat es erfordert und Freiheit der Christen hat es ermöglicht.

Ist das so eine Art „Christlicher Sozialismus“ in Jerusalem? Ich will mich nicht über Begriffe streiten, aber die Wurzeln und die Konsequenzen sind anders als im Sozialismus. Erstens: Die Wurzel ist, dass alles Gott gehört, nicht, dass alles dem Volk gehört. Zweitens: Niemand wird gezwungen zu geben. Es ist freiwillig. Drittens:  Privateigentum wurde nicht abgeschafft. Keine und keiner hat alles gegeben, was sie oder er hatte.

Gleich im nächsten Kapitel Apg 5 erzählt Lukas von Hananias und Saphira. Dieses Ehepaar will zu den hohen Spendern gehören. Wie viele andere verkaufen auch sie ein Stück Land. Sie behalten heimlich ein Teil des Geldes für sich, tun aber ganz großzügig und behaupten, dass sie ihren Acker für diese Summe verkauft hätten. Petrus kommt dahinter. „Damit habt ihr Gott selbst betrogen!“ sagt er zu Hananias. „Du hättest das Land behalten können; du hättest es auch verkaufen und alles Geld für dich behalten können; du hättest auch sagen können, dass du die Hälfte spendest. Aber in dem du gesagt hast, das alles Gott gehört und dass das die ganze Summe ist, heimlich aber einen guten Batzen für dich behältst, damit hast du gelogen und Gott betrogen.“

Eigentum zu verkaufen war also keine Pflicht. Es war freiwillig. Privatbesitz zu behalten, war völlig normal. Aber großzügig tun, sich als Spender feiern lassen und letztlich nur an sich selbst zu denken, das passt nicht zusammen. Hananias und Saphira haben Gott betrogen mit ihren großen Worten.

Jeder gibt, was er kann, und jeder bekommt, was er braucht!“ Das könnte so etwas wie die Jerusalemer Formel gewesen sein. „Jeder gibt, was er kann, und jeder bekommt, was er braucht!“ „Es kann nicht sein, dass du hungerst und ich habe den Kühlschrank voll.“ „Es kann nicht sein, dass du im Stall schlafen musst, ich aber in einem Palast wohne.“ – Wie viel versteckte Armut gibt es auch heute noch, auch in unseren Gemeinden. Schamvolle, schambesetzte Armut. „Wir gehen noch fein essen, kommst du mit?“ „Nee, lasst mal. Ich habe mir schon zuhause etwas vorbereitet.“ „Wo fährt du im Urlaub hin? Ich bleibe auf Balkonien. Ich fühle mich zuhause am Wohlsten. Ich fahre seit Jahren nicht mehr weg.“ „Und was haben eure Kinder zu Weihnachten bekommen?“ …

Beim Geld hört die Freundschaft auf, sagt man. In Jerusalem hat die Freundschaft beim Geld angefangen. Wir müssen es nicht so machen wir in Jerusalem, aber ich glaube, dass Reiche unter uns, die nicht teilen wollen und Arme unter uns, die sich schämen müssen, immer noch eine Beleidigung Gottes sind.

Unsere Gemeindeleitung hier in Kassel von unserer Gemeinde in der Mönchebergstraße, wir haben letztes Jahr die Idee gehabt, ein paar andere Gemeinden zu besuchen, die sehr stark wachsen. Wir wollten uns auch berichten lassen, das einmal ansehen, vielleicht in einen Gottesdienst besuchen und  zwei Personen aus der Gemeindeleitung dort zum Essen und Reden einladen.

Es gibt ein Jahrbuch von den Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Deutschland. Unter anderem stehen da die Mitgliederzahlen der letzten Jahre drin. Immer vom Jahresende. Es gibt Gemeinden, die haben ihre Mitgliederzahl in ein paar Jahren verdoppelt. Andere haben vielleicht über eine ganze Strecke schon. kontinuierlich, vielleicht 50  neue Mitglieder pro Jahr. Was ist das Geheimnis? Wie kommt das? Wir wollen auch keine andere Gemeinde kopieren, aber sicher gibt es da Anregungen, geistliche Impulse. Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Was ich jetzt schon sagen kann: Die wachsenden Gemeinden, die ich kenne, haben nicht irgendwelche Managementtricks. Da geht es nicht einfach um neue Strukturen. Da gibt es keinen kleine Schalter, die man nur umlegen muss. Alle wachsenden Gemeinden, die ich kenne, haben ein erkennbares geistliches Profil. Da ist etwas von geistlichem Leben zu sehen. Die Botschaft und Ausrichtung der Gemeinde ist klar. Vielleicht könnte man über sie auch sagen: „Sie sind ein Herz und eine Seele!“ Nicht, dass es da keine Probleme gibt, aber sie sind begeistert und sie wollen das Gleiche: Christus ehren, Menschen zum Glauben einladen.

Ich kenne eine Gemeinde, in der die Leitungssitzungen jeweils mit einer Stunde anfangen, in der über Personen gesprochen und für sie gebetet wird. Für Mitarbeiter, Neue in der Gemeinde, Kranke vielleicht, über Personen, die nicht mehr kommen wird vielleicht gesprochen. Ich weiß ehrlich gesagt die Details nicht, aber das weiß ich: Wenn man in der Leitungssitzung Zeit hat und sich Zeit nimmt, eine Stunde über Menschen zu sprechen, dann muss man super Gemeindestrukturen haben. Dann muss vieles andere in anderen Gruppen bedacht und entschieden werden. Wenn man sich so viel Zeit für Menschen nimmt, muss man gute Strukturen haben, aber mehr noch: Man muss ein Herz für diese Menschen haben! Sie stehen an erster Stelle bei der Leidenschaft und bei den Aufgaben der Gemeindeleitung.

Die Gemeindeleitung der größten Gemeinde in unserem Gemeindebund kommt jede Woche zum Gebet zusammen. Das sagt natürlich etwas über die Priorität, die in der Aufgabe der Gemeindeleitung erkannt wird. – Es gibt Freikirchen, meistens sind es wohl Freikirchen, da nehmen Menschen weite Wege auf sich, fahren eine Stunde mit dem Auto zu jedem Gottesdienst, weil sie etwas Lebendiges spüren, etwas vom Geist Gottes, weil sie spüren, dass hier Jesus wirklich in der Mitte steht.

In Jerusalem war es genauso. Die Menschen kamen und blieben nicht, weil die Christen in Jerusalem ein schönes Gemeindehaus hatten; sie hatten noch gar keins. Das Geheimnis der wachsenden Gemeinde hat Lukas selbst erwähnt: Vers 33: „Mit großer Kraft und bestätigt durch Wundertaten bezeugten die Apostel Jesus als den auferstandenen Herrn, und für alle sichtbar lag großer Segen auf der ganzen Gemeinde.“

Zu teilen, was man hat, wenn andere etwas brauchen, damit jeder bekommt, was er braucht, das ist keine Methode, das ist nicht etwas Äußeres, das man nachmachen kann. Jesus, der Auferstandene ist in der Mitte. Er wird vollmächtig verkündigt. Zu ihm wird eingeladen. Man sieht, wie es Menschen verändert, die ihn als Herrn in ihrem Leben haben. Das ist die Attraktion in Jerusalem!

Die Christen dort hatten eine große Herausforderung und eine große Chance. Ihre Herausforderung und ihre Chance zugleich war, dass sie die ersten waren, dass sie völlig frei überlegen konnten, wie Christen leben, wie Gemeinde Jesu gelebt wird. Und sie sind eine Gemeinde geworden, die eine starke Ausstrahlung nach außen hatte.

Die meisten von uns sind schon lange Christen. Unsere Gemeinde in der Mönchebergstraße in Kassel ist schon 180 Jahre alt. Wie würden wir als Christen und als Gemeinde leben, wenn wir bei Null anfangen könnten. Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Aber wir können uns inspirieren lassen von den Anfängen. Und Gott will immer wieder Erneuerung schaffen.

Der Kern ist, der Ursprung von allem, dass Menschen diese Freude und Freiheit durch Jesus erleben. Dann werden sie in einer sichtbaren auch opferbreiten Liebe miteinander leben. Dann wird man auch über sie sagen: „Sie sind ein Herz und eine Seele!“ Und dann werden sie zu einer Attraktion für Menschen, die Hoffnung suchen.

Amen.

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