Gott schenkt einen Ausweg

Ich lese aus dem 2. Buch Mose Kapitel 14 Verse 1 und 2 und ab Vers 8 aus der Übersetzung der Basis-Bibel:

Der Herr sagte zu Mose: »Befiehl den Israeliten, dass sie umkehren und vor Pi-Hahirot ihr Lager aufschlagen –zwischen Migdol und dem Meer vor Baal-Zefon. Dort sollt ihr am Meer lagern. Der Herr hatte es so gefügt, dass der Pharao, der König von Ägypten, nicht begriff und die Israeliten verfolgte. Die aber zogen aus mit erhobener Hand (d.h. unter der erhobenen Hand Gottes). Die Ägypter jagten ihnen nach –alle Pferde und Wagen des Pharao, seine Reiter und sein Heer. Die Israeliten lagerten noch am Meer, bei Pi-Hahirot vor Baal-Zefon. Dort holten die Ägypter sie ein.
      Als der Pharao näherkam, blickten die Israeliten auf und sahen: Die Ägypter rückten hinter ihnen heran! Da bekamen die Israeliten große Angst und schrien zum Herrn um Hilfe. Sie beklagten sich bei Mose: »Gab es denn keine Gräber in Ägypten? Hast du uns in die Wüste gebracht, damit wir hier sterben? Wie konntest du uns aus Ägypten führen! Haben wir nicht schon in Ägypten zu dir gesagt: Lass uns in Ruhe! Wir wollen lieber den Ägyptern dienen! Es ist besser, dass wir in Ägypten Sklaven sind, als in der Wüste zu sterben.« Darauf sagte Mose zum Volk: »Fürchtet euch nicht! Stellt euch auf und seht, wie der Herr euch heute retten wird! Denn so, wie ihr die Ägypter jetzt seht, werdet ihr sie nie wieder sehen. Der Herr wird für euch kämpfen. Ihr aber sollt still sein.«  […]
      Dann erhob sich der Engel Gottes. Bisher war er an der Spitze der Israeliten gegangen. Jetzt ging er zu ihrem Schutz hinter ihnen her. Auch die Wolkensäule entfernte sich von der Spitze und trat hinter die Israeliten. Sie stand zwischen den Ägyptern und den Israeliten. So kamen sie die ganze Nacht einander nicht näher. Die Wolke ließ es stockdunkel werden (auf der Seite der Ägypter), und die Feuersäule erleuchtete die Nacht (auf der Seite der Israeliten).         
      Mose streckte die Hand aus über das Meer. Da trieb der Herr das Meer die ganze Nacht durch einen Ostwind zurück. Er machte das Meer zum trockenen Land, und das Wasser teilte sich. So konnten die Israeliten auf trockenem Boden mitten durch das Meer ziehen. Das Wasser stand rechts und links von ihnen wie eine Mauer. Die Ägypter aber verfolgten sie. Sie jagten hinter ihnen her mitten in das Meer –alle Pferde des Pharao, seine Streitwagen und Reiter.

Unglaublich. Schrecklich. Das stellte alles in Frage. Jetzt waren sie wirklich am Ende. Eine schreckliche Situation für die Israeliten. Sie dachten, es geschafft zu haben. Gott selbst hatte ihnen gesagt, dass sie hier lagern sollten. Am Schilfmeer. Gegenüber von Ziphon vor Pi-Hahirot. Sie wollten eigentlich einen anderen Weg gehen, aber sie haben Gott gehorcht. Was hatten sie nun davon? Was sollte das? Gott selbst hatte sie in eine Sackgasse laufen lassen.

Wie ein Lauffeuer geht es durch das Lager: Die Ägypter kommen. Schwer bewaffnet. Zu allem bereit. Vor ihnen das Meer. Kein Weg. Hinter ihnen die Streitwagen und Schwerter der Feinde. In die Enge getrieben waren sie. Enge macht Angst. Angst kommt von Enge. Es gibt keinen Ausweg. Sie sitzen in der Falle.

Das Volk schreit zu Gott. Und das Volk schreit Mose an. Sie hatten Mose vertraut. Gott sollte ihn zu ihnen geschickt haben. Darauf haben sie vertraut. Mitten in der Nacht waren sie aufgebrochen. Erschöpft von jahrelanger Quälerei. Erleichtert der Gewaltherrschaft des Pharaos zu entkommen. Schrecken und Angst im Gepäck. Sie wussten, dass der Weg in die Freiheit durch die Wüste führt. Durch eine lange Wüste. Sie wollten frei sein, von Gott befreit werden, ohne zu wissen, was sie erwartet. Mit Gott sind sie losgezogen. Mitten in der Nacht. Ins Ungewisse. Aber nicht den Tod, sondern die Freiheit haben sie gesucht.

Jetzt hat sie ihre Vergangenheit eingeholt. Was sie dachten zurückgelassen zu haben, war ihnen mit Macht wieder ganz nahe gekommen. Mit den scharfen Krallen seiner großen schrecklichen Tatze greift der Pharao erneut nach ihnen. Nach vorne ist kein Weg. Nach hinten schon gar nicht. Der Tod wartet auf sie. Blanke Angst. Niemand denkt noch daran, dass Gott sie bislang treu begleitet hat. Das verlorene Gottvertrauen macht sie aggressiv.  Wo ist Gott jetzt? fragen sie. Und sie brauchen einen, der schuld ist. Mose ist schuld. Da haben sie ihn gefunden.

Viele Menschen brauchen einen, der Schuld hat, auf den sie schimpfen können, den sie anklagen können, über den sie ihre ganzen negativen Gefühle ausgießen können, wenn es ihnen nicht gut geht. Das Volk wird aggressiv weil es den Glauben verliert. Dass Mose Gottes Auftrag ausführt, dass sie mit Gott auf dem Weg sind, spielt keine Rolle mehr. „Warum hast du uns in die Wüste gebracht? Hättest du uns in Ägypten gelassen. Da war alles besser! Da wussten wir, woran wir waren. Damit konnten wir leben. Warum hast du uns nicht in Ägypten sterben lassen?“ Sie verherrlichen die Vergangenheit. So schwer sie auch war! Das Leid von gestern scheint klein im Vergleich zu dem Leid von heute.

Angst kommt von Enge.  Man weiß nicht mehr wohin. Man fühlt sich von allen Seiten angegriffen. Es schnürt einem die Luft ab. Links, rechts, vor mir, hinter mir, vermutlich auch über mir nur Bedrohung, Schwäche, keine Kraft mehr, keine gute Aussicht. Wenn man die eigene Situation so wahrnimmt, dann wird der Blick eng. Und das Denken. Man dreht sich im Kreis. Man möchte im Boden versinken. Einfach nur weg sein.  Aber da ist auch kein Weg. Panik macht sich breit unter den Israeliten. Nur bei einem nicht. Scheinbar. Mose hat keine Angst. Mag der Himmel voller tiefdunkler Wolken sein, Mose sieht noch das Blau zwischen den Wolken und er sieht den hellen Himmel dahinter. „Fürchtet euch nicht!“ sagt er.

Wo nimmt Mose die Kraft her? Er kann immer noch vertrauen. Er weiß Gott an ihrer Seite. Gott wird vollenden was er begonnen hat. Mose lässt sich weder von ihrer Angst noch von ihren Angriffen gegen ihn nach unten ziehen. Gott wird ihnen helfen, sagt er.

Gott steht zu seinen Verheißungen. Gott ist sein Volk nicht egal. Gott ist im Regiment. Nicht der Pharao. Gott ist der Herr. Niemals wir er sein Volk zugrunde gehen lassen. Gott ist treu. Er hält, was er verspricht. Und er ist mächtig. Gott kann Wunder tun. Türen öffnen. Für ihn gibt es keine Sackgassen. Für Gott gibt es keine unlösbaren Situationen. Daran hält Mose fest. Uns das hält Mose fest.

„Fürchtet euch nicht!“ sagt er. „Fürchte dich nicht!“ Angeblich steht diese Aufforderung, dieser Zuspruch Gottes, 365 Mal in der Bibel. Sie gilt für jeden Tag im Jahr. Sie gilt noch heute für jeden, der mit Gott auf dem Weg ist. Josua hat es gehört, als er das Volk nach dem Tod von Mose weiter führen sollte: „Fürchte dich nicht!“. Maria hat es gehört, als sie erfuhr, dass sie Mutter werden sollte: „Fürchte dich nicht!“ Die Hirten haben es gehört, als ihnen die Engel erschienen. Die Frauen am Grab haben es gehört, als Jesus auferstanden ist: „Fürchtet euch nicht!“ Und heute hören wir es in unseren Sackgassen, wo wir in der Wüste sind, wo unser Vertrauen Risse bekommen hat, wo wir vergessen haben, dass Gott für uns ist:

„Fürchtet euch nicht! Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein.“ Ihr werdet zusehen. Ihr müsst es nicht selber tun. Ihr dürft eure Waffen ruhen lassen. Hört auf zu kämpfen. Ihr müsst euch nicht nach hinten verteidigen und nach vorne nicht selber einen Weg suchen. Ihr seid mit Gott aufgebrochen und er wird euch weiter führen.

Erstaunlich. Bemerkenswert. Bewundernswert. Mose weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie Gott handeln wird. Er vertraut blind. Dem Volk macht er Mut. Den Ausweg kennt er selber auch noch nicht. Und er schreit auch zu Gott. Er betet dringend, verzweifelt. Beides ist offensichtlich auch in ihm. Glaube und Zweifel. Mut und Angst. Er hält an Gott fest. Er sagt dem Volk, dass Gott treu ist. Und er schreit zu Gott, dass er jetzt wirklich schnell seine Macht und Treue zeigt. – Auch wer vertraut ist nicht ohne Zweifel. Aber er entscheidet sich zu vertrauen.

„Warum schreist du zu mir um Hilfe?“ sagt Gott ihm. „Ich bin da. Ich bin treu. Ich sitze im Regiment. Ich halte mein Versprechen. Ich will, dass ihr lebt. Ich lebe und ihr sollt auch leben.   Ich will mein Volk in das verheißene Land führen. Und ich werde es tun. Befiehl den Israeliten, dass sie weiterziehen!  Du aber streck deine Hand aus und erhebe deinen Stock über das Meer und spalte es, damit die Leute von Israel trockenen Fußes ins Meer hineingehen können!  Sag dem Volk, dass es weiterziehen soll!“

Ein Wort zu dem Pharao zwischendurch. Der Pharao ist machthungrig. Er kennt es nicht, dass sein Wille nicht geschieht. Auf ihn muss man hören. Sein Wille muss geschehen. Er sieht das Leid der Menschen nicht. Er will über sie herrschen. Er ist es gewohnt, sich mit seinen Mitteln durchzusetzen. Er hat alles im Griff. Alle Menschen. Sich selbst aber wohl am Wenigsten.

Und Gott verstockt ihn. Das heißt, Gott lässt ihn, wie er ist. Gott lässt ihn nicht erkennen, dass seine Macht begrenzt ist. Der Pharao bleibt sich treu. Er will nicht sehen  und  er sieht nicht. Er will nicht hören und er hört nicht. Er bringt über sich selbst und seine Soldaten das Unheil. Er hält stur an seiner Macht, an seiner Haltung und an seiner Sicht der Dinge fest. Und er geht unter. Und die Seinen mit ihm.

Der Pharao ist auch eine Mahnung an uns, wo wir vielleicht unbelehrbar sind, blind, aufgerüstet haben, andere zu Feinden gemacht haben, kämpfen und uns nichts mehr von unserer Sicht abbringen kann. Wo wir meinen, im Recht zu sein, und uns und andere ins Unheil stürzen, weil wir uns für den Krieg entscheiden.

Das Volk bricht auf. Das Volk geht weiter. Dem Meer entgegen. Es ist Nacht. Nicht nur äußerlich. In den Menschen ist es Nacht. Die Angst ist noch nicht besiegt. Aber sie gehen weiter auf das Wasser zu.

Sonst ging der Engel immer vor ihnen her, um ihnen den Weg zu zeigen. In einer Feuer- und einer Wolkensäule. Jetzt geht er hinter sie, um sie zu schützen. Die Ägypter kommen nicht an sie heran. Die Feinde sind nahe dran, aber sie kommen nicht an sie heran. Gott hat sich dazwischen gestellt. Die Bedrohung ist real. 600 Streitwagen, Soldaten bis an die Zähne bewaffnet, das kann niemand kleinreden.  Die Feinde sitzen ihnen im Nacken. Sie können sozusagen ihren Atem spüren. Aber die Wolkensäule macht es für die Feinde dunkel und die Feuersäule macht es hell für Gottes Leute. Sie haben Licht mitten in der Bedrängnis. Gott gibt ihnen Licht für ihren Weg. „Wenn meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt haben,“ las ich im Urlaub in einem Buch, „dann erkenne ich, dass da immer noch Licht ist!(Antje Sabine Naegeli, Du hast mein Dunkel geteilt, Gebete an unerträglichen Tagen)

Dann kommt das rettende Wunder. Gott greift ein. Gott sieht nicht untätig zu. Gott ist im Regiment. Gott sind seine Menschen nicht gleichgültig. Gott ist treu und mächtig. Er schwebt nicht über der Not seines Volkes. Er ist mitten drin. Gott befreit. Mose streckt seine Hand aus und die ganze Nacht weht ein starker Ostwind. Das Meer teilt sich. Der Boden ist sichtbar. Unheimlich und wunderbar. Das ist ihr Weg. Einer muss den ersten Schritt tun. Einer muss anfangen. Noch nie ist jemand zu Fuß durch ein Meer gelaufen. Was sie erleben, hat noch nie jemand erlebt. Aber das ist Gottes Weg für sie. Mitten durchs Meer.

Wie war das möglich? Interessiert euch das? Mich nicht so sehr. Verstehen kann man das nicht. Das war ein Tsunami, nehmen mache an. Ein Seebeben. Das Wasser ging weg, zog sich zurück, und als die Ägypter kamen, kam das Wasser wieder. Zu dieser Zeit soll es einen tiefen Grabenbruch im Meer gegeben haben, wird behauptet. Ich weiß es nicht. Der biblische Bericht schreibt von starken Winden. Ich glaube, Gott braucht nur einmal die Luft anzuhalten oder einmal ausatmen und Meere teilen sich. Meere von Wasser und Meere von Trauer und von Not. Gott kann uns trockenen Fußes über Wasser gehen lassen, wenn wir ihm vertrauen.

Das Entscheidende ist doch: Gott hat seine Treue bewiesen. Gott ist im Regiment. Gott sind seine Menschen nicht gleichgültig. Gott rettet. Gott greift ein. Gott hat aus dem Nichts einen Ausweg geschenkt. Das Volk hat abgewartet und ist dann den Weg gegangen, den Gott ihnen gezeigt hat.

Für Israel ist unser Predigttext heute vielleicht der wichtigste Text für den Glauben des Volkes. Hier haben sie eine grundlegende Erfahrung gemacht. Hier haben sie Gott in seinem Wesen erkannt. Israel hat einen Gott, der befreit! Der Weg des Volkes Israel wird nie ein einfacher Weg sein. Sie werden noch viele Feinde haben. Sie haben werden noch viel Leid ertragen müssen.

Sie werden noch durch manche Wüste gehen und manchmal werden sie in einer Sackgasse landen, wo sie nichts mehr tun können. Aber sie haben einen Gott, der sie sieht, der sie erwählt hat, sich an ihnen zu zeigen, der bei ihnen ist, einen Gott, der befreit. Immer wieder, als das Volk in Babylon gefangen ist, als die Juden verfolgt wurden im Mittelalter, als sie ausgerottet werden sollten zur Zeit des Deutschen Reiches, immer wieder hat das Volk diese Urerfahrung aufgerichtet: Wir haben einen Gott, der befreit.

In der Perikopen-Ordnung, der landeskirchlichen Ordnung der Predigttexte, dort ist unser Text heute 2. Mose 14 einer der Predigttexte zu Ostern. Die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten und der Durchzug durch das Schilfmeer, sie haben im Judentum eine vergleichbare Bedeutung wie die Auferstehung Jesu und Ostern für unseren Glauben.

Das Volk lebte in Sklaverei. Das Volk war vom Tode bedroht. Es war durch eigene Schuld in die Sklaverei geraten. Es hatte nichts mehr, was es Gott geben konnte. Es konnte sich selber nicht befreien. Und es hatte mehr Angst und Zweifel als Glauben. Gott hat Israel durch sein wunderbares Eingreifen gerettet. Gott hat sein Volk ins verheißene Land geführt.

So hat Gott die Sklaverei der Menschen unter der Sünde gesehen. Gott hat eingegriffen. Jesus ist der Mose des neuen Bundes. Mose hat das Gesetz für Israel gebracht. Jesus hat ein neues Gesetz gebracht, das Gesetz der Liebe.  Mose hat das Gesetz auf einem Berg erhalten, auf dem Berg Horeb. Jesus verkündigt das neue Gesetz auf einem Berg in seiner Bergpredigt.

Am Schilfmeer hatte Israel unweigerlich den Tod vor Augen. Gott hat einen wunderbaren Ausweg geschenkt. Jesus hat den Tod überwunden. Jesus hat uns einen wunderbaren Weg zum Vater gezeigt. Der Weg führt durchs Wasser. Im neuen Bund ist es die Taufe. Paulus  vergleicht  den Durchzug durch das  Schilfmeer mit der Taufe (1. Kor 10,1). Da gehen Sünderinnen und Sünder sozusagen trockenen Fußes zum Vater, zum ewigen Leben, in das verheißene Land.

Wir werden heute daran erinnert, was Israel erlebt hat. Wüstenerfahrungen gehören zum Leben. Es gibt auch Sackgassenerfahrungen. Wir verstehen Gottes Handeln manchmal nicht. Wir haben in der Not manchmal einen sehr rissigen kaum noch sichtbaren Glauben. Aber wir haben einen Gott, der uns sieht. Einen Gott, der uns erwählt hat, der uns liebt, der bei uns ist.

Gott ist im Regiment. Gott ist treu.
Wir sind ihm nicht gleichgültig.
Er hat seinen Sohn für uns gegeben.

Wir haben einen Gott, der befreit,
und einen Gott, der den Tod besiegt hat.

Amen.

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