Die Gemeinde braucht neue Strukturen

Herzlich wollkommen zu unserer Andacht am Sonntag.

In der Gemeinde haben wir heute auch einen Live-Gottesdienst. Sechs Kinder werden aus dem Gemeindeunterricht verabschiedet. So heißt das bei uns, was in anderen Kirchen Konfirmandenunterricht heißt. Die sechs Kids und die anderen, die noch ein Jahr Gemeindeunterrocht haben, bringen so viele Gäste mit, dass wir aufgrund der Corona-Maßnahmen keine weiteren Gäste in unserem Gottesdienst aufnehmen konnten.

So kommen Sie in den Genuss, sich mit mir einen für die erste Gemeinde in Jerusalem ganz wichtigen Text anzusehen. Ich lese Apostelgeschichte 6, 1-7. Danach werden die einzelnen Sätze noch einmal eingeblendet.

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. 4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben. 5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia. 6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. 7 Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

Sehen wir uns den Text der Reihe nach an:

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, …

Die Gemeinde in Jerusalem wuchs. Aus dem Bericht, den Lukas über das Geschehen von Pfingsten geschrieben hat, wissen wir, dass tausende zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Und es werden immer mehr. Alle Christen werden Jünger genannt. Dahinter steht das griechische Wort für Schüler. Alle Christen sind Schüler Jesu. Eine große Lerngemeinschaft. Sie wollen mehr wissen, mehr verstehen, wer Jesus war, was er gelehrt hat, wo sein Herz schlägt. Sie machen eine lebenslange Ausbildung, Jesus nachzufolgen.

So viele Menschen, die mit Jesus leben wollten, konnten sich nicht an einem Ort treffen. Man traf sich in den Häusern. Offene Häuser und Hausgottesdienste waren die Säulen der jungen Gemeinde. Man traf sich in Gruppen. Bildete Hausgemeinden. Da kannte man sich, da konnten Fragen gestellt werden, da wurde das Leben miteinander geteilt, da wurde Abendmahl gefeiert. Die Gottesdienste fanden abends statt, immer mit Abendmahl und immer mit einem gemeinsamen Essen.

Ich finde diese Struktur beneidenswert. Wir Freikirchen sind einmal damit angetreten, dass man als Christen in einer Gemeinde gemeinsam unterwegs ist, sich kennt, sich trägt, sich gegenseitig unterstützt. Das gelingt uns kaum noch. Auch Kleingruppen gehörten am Anfang dazu. Frauengruppen, Männergruppen, Jugendgruppen, Angebote für Kinder in der Woche, Chöre. Andere Kirchen haben uns beneidet für die Gruppenarbeiten. Das zeigen Korrespondenzen aus den Anfangszeiten. Das der Glaube mit den Menschen etwas zu tun hat, mit ihrem Alltag, dass man sich in Gruppen traf und sich kannte, das waren auch einmal die Säulen der jungen Freikirchen. Die jungen Gemeinden wollten keine reinen Gottesdienstgemeinden sein, wo man sich nur sonntags trifft und anonym bleibt.

Auch das Miteinander der Menschen war eine Attraktion in Jerusalem. Und die Gemeinde war von Anfang an multikulturell. Viele lebten schon lange in Jerusalem. Sie sprachen Aramäisch. Viele andere waren Juden, die aus anderen Ländern nach Jerusalem gezogen waren. Sie brachten andere Muttersprachen und andere Kulturen mit. Wohl alle aber sprachen auch Griechisch. Das war die damalige Weltsprache.

Wenn man nun die Hausgottesdienste gefeiert hatte, bekamen die Armen, im Besonderen die Witwen, denn sie hatten sonst keine Versorgung, Lebensmittel mit, vielleicht auch andere Güter. Kleidung. Eine warme Decke. Und hierbei kam es zu Ungerechtigkeiten.

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.

Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist. Aber die Einheimischen denken zuerst an sich. Das kriegen sie noch hin, dass die Witwen aus ihren Kreisen versorgt sind. Die Zugereisten, die griechisch sprechenden Witwen aber werden vernachlässigt. Es gibt ein Zweiklassensystem in der Gemeinde. Die Wohlhabenden, die Ihresgleichen im Blick haben, und die Zugereisten, die mal so gerade noch hinkommen mit dem, was sie haben.

Die Gemeindeleitung bekommt Wind von diesen Missständen. Sie hat es allerdings zu spät wahrgenommen. Die Apostel haben ihre Hirtenpflicht, alle im Blick zu haben, dass alle versorgt werden, schlecht organisiert. Jetzt müssen sie schnell handeln. Immerhin: Sie hören zu! Sie lasen es sich sagen! Auch wenn einige der Griechen schon Schimpfen und Murren. Sie hören zu! Und sie nehmen sich der Sache an. Die Griechen haben Recht: Man kann nicht beten „unser täglich Brot gib uns heute“ und zusehen, wenn andere hungern oder darben. Ein solches Unrecht ist Verrat an der Sache Jesu.  Sie sind ein Leib. Sie gehören zusammen.

2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen ….

Die Apostel beraten sich. Das ist ihre Aufgabe. Eine Lösung muss her. Und sie rufen eine Mitgliederversammlung ein. Sie entscheiden nicht alleine. Sie machen einen Vorschlag, aber alle, die es betrifft, sollen mitdenken, mitreden. Zuerst zuhören, dann nachdenken, dann erst reden, offen kommunizieren und alle beteiligen. Die Apostel halten sich an diese Regel.

Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte ….

Vielleicht haben die Apostel einen Moment gedacht, „das müssen wir selbst in die Hand nehmen“. Aber sie tun es nicht. Die soziale Versorgung, nicht nur Brot sondern Zuwendung, die Einzelne sehen, sehen, was sie braucht, und dafür sorgen, dass sie es bekommt, das ist wichtig! An der Liebe untereinander soll man sie Christen erkennen, hat Jesus gesagt. Aber die geistliche Versorgung ist ebenso wichtig. Zu predigen, zu lehren, für die geistliche Weiterentwicklung der Gemeinde zu sorgen. Das ist ihre Aufgabe. Das ist die erste Aufgabe der Gemeindeleitung.

Die Apostel wissen um ihre Aufgabe. Wer das nicht weiß, der ist überall zu finden. Der will alles mit entscheiden. Petrus und Johannes und wie sie alle heißen sind sich nicht zu schade, auch mal Stühle zu stellen oder Abzuwaschen, wenn wirklich Not am Mann ist. Aber sie können jetzt unmöglich die Versorgung der griechisch sprechenden Witwen in die Hand nehmen.

Neue Strukturen müssen her. Da könnte ich jetzt viel erzählen. Da sind wir als Gemeinde auch gerade dran. Aber das würde jetzt zu weit führen. Die Apostel überlegen sich eine neue Struktur. Beides soll gewährleistet sei: Die soziale und die geistliche Versorgung. Die Apostel rufen die Brüder zusammen. Da sind auch die Frauen mit dabei! Der männliche Plural im Griechischen meint beide Geschlechter. Ein Wort wie das deutsche Wort Geschwister gab es nicht. In der Verantwortung aber konnte man sich damals nur sieben Männer vorstellen. Auch das wird später noch anders werden, wie die Briefe von Paulus zeigen.

3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. 4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.

Drei Qualifikationen für die sieben zu wählenden nennen die Apostel.

  1. Sie sollen einen guten Ruf haben. Sie sollen sich auch sonst im Alltag bewährt haben. Wer in seinem Leben keine Verantwortung zeigt, nicht zuverlässig oder belastbar ist, der soll auch in der Gemeinde keine besondere Verantwortung tragen.
  2. Sie sollen voll des Heiligen Geistes sein. Sie sollen fest im Glauben stehen. Sie sollen Menschen sein, die selber aus dem Gebet leben, die geistlich wachsen wollen, die in der Bibel lesen, vielleicht in einem Hauskreis sind, dass Bibelgespräch besuchen, Menschen, die aus Gottes Wort leben und sich von Gottes Geist treiben lassen.

Die sieben werden nicht nur das Brot verteilen, vielleicht die Mahlfeiern leiten, Einzelne Menschen sehen, sie werden auch verkündigen. An Stephanus und Philippus werden wir es noch sehen. Lukas schreibt in den nächsten Kapiteln von ihnen. Auch ihre soziale Aufgabe ist eine geistliche Aufgabe. Wer in der Gemeinde Verantwortung übernimmt, soll ein geistlicher Mensch sein, der mit Gottes Wirken rechnet.

Und die dritte Qualifikation: 3. Sie sollen voll Weisheit sein. Weisheit ist etwas sehr Praktisches. Sie sollen weise sei, das zu tu, was dann ihre Aufgabe ist. Wären sie gute Menschen, geistliche Menschen, die aber das nicht tun können, was sie tun sollen, wäre niemandem geholfen. Sie sollen Fähigkeiten für ihren Dienst aufweisen können.

Diese drei Qualifikationen sind bleibend wichtig für Menschen, die in Gottes Reich Verantwortung übertragen bekommen. (1) Sie müssen auch sonst im Leben klar kommen. Kommunizieren können. Mit Menschen umgehen können.  (2) Sie sollen geistliche Menschen sein. (3) Sie sollen die richtigen Gaben mitbringen. Wer für die Kasse zuständig ist, soll auch dazu qualifiziert sein. Die Bereichsleiterin für Gottesdienst muss etwas anderes können, als der Diakon für Haus und Hof oder für Senioren oder für Jugend oder Evangelisation.

5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut und sie wählten Stephanus ….

…. einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.

Alles griechische Namen. Wie sie Wahl vor sich ging, wissen wir leider nicht. Sie werden gesprochen haben. Namen wurden genannt. Das griechische Wort im Urtext, eklego, bedeutet so viel wie auswählen, aus einer größeren Zahl bestimmen. Man wünscht sich Gottes Wahl, man betet auch darum, und dennoch muss irgendein Wahlmodus gefunden werden. Die Apostel halten sich dabei heraus. Diese Männer sollen sich um die Griechen kümmern, dann müssen sie auch entscheiden.

„Und es gefiel der ganzen Menge gut!“ Das ist kein Luxus. Die Gemeinde finde den Vorschlag der Apostel richtig. Darum wird er umgesetzt. Keine Hierarchie. Nichts von oben aufgesetzt. Ganz transparent kommuniziert.

Gemeindeversammlungen kennen wir auch. Sie sind die höchste Instanz. Die Gemeindeleitung ist der Gemeindeversammlung gegenüber verantwortlich. Sie arbeitet im Vertrauen der Gemeinde. Sie ist gewählt und für ihre Aufgaben gesegnet. Die Gemeinde aber hat letztlich nicht nur Mitbestimmungsrecht, sie hat das Bestimmungsrecht. Die Leitung hat die Verantwortung, das Ganze zu sehen, auf Missstände zu reagieren, Vorschläge zu machen, aber die Gemeinde entscheidet alles Wichtige. Gemeindeversammlungen sind bei uns oft schlecht besucht. Manchmal kommen 30 Personen, manchmal 100, aber jede und jeder, der nicht kommt und mitdenkt und mit entscheidet, nimmt der Gemeinde etwas von dem Geist, den Gott ihr gegeben hat. Offene Kommunikation zu ermöglichen, Information und Teilhabe aller ist auf der Seite der Leitung andererseits wichtig.

6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. 7 Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem.

Den Segen der Mitarbeiter will ich noch einmal hervorheben. Selbst wenn es gelingt, gute Strukturen zu finden und verantwortliche Mitarbeiter, die sich in den Dienst im Reich Gottes rufen lassen, für die Jugendarbeit, die Seniorenarbeit, die Arbeit im Stadtteil oder was auch immer: Sie werden vor der ganzen Gemeinde gesegnet. Die Gemeinde weiß, wer für welche Aufgaben zuständig ist, und sie betet für ihre Mitarbeiter.

Happy End in Jerusalem. Das Wort Gottes kann sich weiter ausbreiten. Die soziale und die geistliche Verantwortung sind neu und gut organisiert. Strukturen zu ändern ist nicht einfach. Strukturen können sehr stur und konservativ sein. Das Leben aber macht Veränderungen, neue Entscheidungen, immer wieder erforderlich. Im Persönlichen und in Gemeinden.

Ich wünsche es mir und uns allen, ich wünsche es unserer Gemeinde und allen Gemeinden und Kirchen, dass Gott uns darin stärkt, für das Leben, das sich immer wieder ändert, die Strukturen zu finden, die das Leben und das Evangelium stärken.

Amen.

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