Gott zerbricht das Geknickte nicht

Liebe Gemeinde,

das ist doch nicht egal, wer uns regiert, oder? Das will man doch wissen! Den will man doch kennen! Dem will man vertrauen können! Der muss was können! Uns soll jemand regieren, der ehrlich ist, der gute Ideen hat, der sie durchsetzen kann, der Probleme erkennt und angeht, der sich beraten lässt und selber auch guten Rat hat. Es ist nicht egal, wer regiert! Letztes Jahr hatten wir die Wahl. Und wir haben gewählt. Jedenfalls die meisten von uns. Andere haben nicht gewählt, aber die müssen oder dürfen jetzt auch mit dem leben, der uns regiert.

Im Predigttext heute wird jemand vorgestellt, der kommen wird, um zu regieren. Er wird nicht uns vorgestellt, er wird Israel vorgestellt und zwar in der Zeit, in der das Volk in Babylon in Gefangenschaft war. 586 vor Christus hatte der babylonische König  Nebukadnezar Jerusalem  eingenommen und alle reichen, gebildeten, einflussreichen Leute aus Israel nach Babel verschleppt. 539 vor Christus, knapp 50 Jahre danach, besiegten die Perser die Babylonier und König Kyros II. erlaubte den Juden in ihre Heimat zurückzukehren.

In der Zeit der Gefangenschaft davor tritt ein Prophet auf. Wir finden ihn im Jesajabuch ab Kapitel 40. Den Menschen, zu denen er spricht, war ihr Leben entrissen worden. Herren wurden zu Knechten. Reiche wurden arm. Das ganze Volk wurde gedemütigt. Ihr Glaube wurde auf die härteste Probe gestellt. Sie hatten keine Heimat und  keine Hoffnung auf ein neues, freies und fröhliches Leben. Diesen Menschen stellt der Prophet einen  Regierenden  vor, der kommen soll. Einen Mann von Gott gesandt und bevollmächtigt. Er nennt ihn Knecht Gottes. In vier Gottesknechtsliedern stellt er ihn vor. Ich lese uns das erste Gottesknechtslied aus Jesaja 42, 1-7:

„Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben;  er wird das Recht unter die Heiden bringen.
Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.
So spricht Gott, der HERR, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen: Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, daß du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.

Es ist nicht egal, wer uns regiert! Schon gar nicht, wenn wir in Not sind, Angst haben, trauern, weil wir so viel verloren haben, und wenn wir Sehnsucht haben nach der Heimat. Jesaja stellt einen neuen Regierenden vor. Gott  hat die Wahl betroffen. Gott hat ihn erwählt. Wir  können ihn auch wählen.

Knecht nennt Jesaja diesen Mann. Das war nicht neu. Auch Könige konnte man Knechte nennen. Diener. Auch Politiker heute sollen Diener des Volkes sein. Minister kommt aus dem Lateinischen und heißt Diener übersetzt.

Was wird über diesen Knecht gesagt? Gott hält ihn. Gott stützt ihn. Gott hält ihn aufrecht. Gott gefällt, was er tut. Gott hat ihn erwählt und beauftragt und er beschützt ihn. In Gottes Vollmacht wird er auftreten. Gott wird ihm seinen Geist geben, sagt der Prophet.

Was wird noch gesagt? Er wird nicht schreien. Seine Herrschaft wird nicht auf den Gassen herausposaunt. Er kommt nicht prunkvoll, machtvoll oder gewaltig. Er schreit den Menschen nicht seine Rettung in die Ohren. Er ruft nicht zum Appell. Er kommt leise, einfühlsam, mitfühlend, barmherzig. Behutsam aber beharrlich, zärtlich aber kraftvoll richtet er seine Leute auf.

Gottes Knecht wird niemanden anschreien. Er wird keine Gewalt anwenden. Er ist kein Partylöwe, kein Freund der Bosse. Er freut sich nicht, in Kreis der Mächtigen zu sitzen. Er will dienen. Er ist leiser Knecht. Ein stiller Mann. Er ist allein Gott verpflichtet. Er ist Gottes Seelenverwandter! Gottes Seele freut sich an ihm. Und er wird selber nicht zerbrechen. Er wird nicht erlöschen. Sein Feuer wird niemand auslöschen!

„Hör zu!“ sagt der Prophet. Eine Fernsehzeitung heißt auch so: „Hör zu!“ In der Fernsehzeitung werden Filme angekündigt. Mit Tag und Uhrzeit ihrer Ausstrahlung. Auch wer die Hauptrollen spielt, kann man schon lesen. Der Prophet ab Jesaja Kapitel 40 gibt auch eine Programmvorschau. Aber er sagt nicht, wann das passiert und wer die Hauptrolle spielt. Gott ist der Regisseur! Aber wer ist sein Knecht?

Bis heute rätseln die Theologen, wenn der Prophet wohl gemeint hat. Hatte er eine einzelne Person vor Augen oder ein Kollektiv? War König Kyros von Persien gemeint, der dem Volk die Freiheit schenken wird? Jüdische Theologen sagen, das Volk Israel sei der Knecht gewesen, von bei Jesaja geschrieben steht. Israel ist nicht zu zerbrechen. Israel wird immer bestehen. Israel ist das Licht der Heiden.

Christen sehen das Rätzel etwa 540 Jahre nach Jesajas Rede als gelöst an. Als Jesus getauft wird, empfängt er den Geist Gottes  und  es wird ihm wörtlich gesagt  wie es in Jesaja 42 formuliert ist „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Matthäus erzählt die Heilungen, die Jesus gewirkt hat. Blinde konnten sehen, Lahme konnten gehen. Dann schreibt er:

„Das geschah damit erfüllt wurde, was Gott durch den Propheten Jesaja gesagt hat: Siehe, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, und mein Geliebter, an dem meine Seele Gefallen hat; ich will meinen Geist auf ihn legen und er soll den Heiden das Recht verkündigen. Er wird nicht streiten noch schreien und man wird seine Stimmen nicht hören auf den Gassen; das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht hinausführt zum Sieg und die Heiden werden auf seinen Namen hoffen.“ (Matth 1,11 und 12,17)

Matthäus zitiert unseren Predigttext und bezieht ihn auf Jesus. Jesaja hat sicher  nicht an Jesus gedacht, als er dem Volk sagte, was Gott ihm gezeigt hatte. Der Prophet selbst wird Gottes Programmvorschau noch nicht verstanden haben. Jesaja verwendet bestimmte Begriffe, wenn von dem kommenden Messias wird. „Sohn Davids“ wird er genannt. Auf dem „Zion“ wird er herrschen. Ein neuer Spross aus dem Hause Isais. Als Kind geboren. Der Friedefürst. Alle diese Begriffe fehlen hier, wenn er von dem Knecht Gottes spricht. Dass der Messias  der Gottessknecht  sein würde, der leidet für die vielen, wie wir dann bei Jesaja lesen, das hat der Prophet selbst noch nicht gewusst. (vgl. Jesaja 53)

Jesus ist der Knecht-König Gottes. Messias und Gottesknecht. Er ist es, der selber nicht zerbricht und nie verlöscht. Jesus ist nicht tot zu kriegen. Er bringt das Recht unter die Völker. Die Inseln warten auf seine Weisung. Die Inseln sind auch eine Metapher für die Heiden. Sie warten auf Gottes Weisung, was sie tun sollen, wie sie leben sollen, sagt Jesaja. So wird es kommen.

Das hebräische Wort für das Recht, das der Knecht in alle Welt bringt, meint aber zunächst den Rechtsspruch. Das Urteil. Das, was Gott zu dem Unrecht dieser Welt zu sagen hat. Und dazu lesen wir: Er wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen. Er wird den glimmenden Docht nicht auslöschen.

Sicher ist, dass ein Schilfrohr eine Rolle spielte, wenn ein Richter ein Todesurteil ausgesprochen hat. Das gebrochene Rohr stand für das zu zerbrechende Leben des Angeklagten. So wie man von Julius Cäsar bei den Kämpfen im Kolosseum annimmt, dass er den Daumen herunter gehalten hat, wenn ein besiegter Gladiator oder Gefangener hingerichtet werden sollte, so haben Richter im Orient  den Stab gebrochen über einem Angeklagten, wenn er wegen seiner Schuld getötet werden sollte. Wenn Jesaja das kannte, ist die Botschaft klar: Der Knecht wird den Heiden bis auf die letzten Inseln das Urteil Gottes mitteilen: Sie sollen leben!  Gott bricht den Stab nicht über sie.

Am Kreuz Jesu ist Gottes Urteilsspruch vollzogen worden. Golgatha war sein Gerichtsplatz. Da hat Gott sein NEIN zur Sünde gezeigt: Die Sünde ist so ernst, dass sie vernichtet und gestraft werden muss. Und am Kreuz hat er sein JA  zu den Menschen gesprochen. Alle  sind des Todes schuldig. Der Stab ist schon geknickt. Keiner hat  Liebe, Gerechtigkeit und Frieden gelebt, wie Gott es will. Aber seine Liebe ist so groß, das er selbst  ihre Strafe und ihren Tod erleidet.

„Du sollst leben!“  Das ist der Urteilsspruch Gottes, den alle Menschen hören sollen. Das hat Jesus vorgelebt: Einige fromme Gelehrte bringen eine Ehebrecherin zu Jesus. Sie wurde auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. Wie kann denn so etwas passieren? Hat man ihr aufgelauert, ihr diese Sünde nachzuweisen? Haben sie sich gefreut, sie ertappt zu haben und sie jetzt anklagen und fertig machen zu können?

Und wo war der Mann dazu?  Männer wurden nie wegen Ehebruch gesteinigt. Die Frau ist schuld. Die Frau hat ihn verführt. Egal wie es gewesen ist: Die Frau hat Schuld. Frauen sind immer die Hexen. Männer sind Opfer. Endlich können diese Männer mal so richtig das Böse strafen! Selbstgerecht seine Steine auf eine Sterbende werfen. Die hat es wirklich nicht anders verdient!

„Mose hat gesagt, Ehebrecher sollen gesteinigt werden! Was sagst Du dazu, Jesus? Dürfen wir Steine sammeln? Haben wir nicht das Recht, nein, die Pflicht, die Dinge jetzt mal öffentlich zu machen und sie bloß zu stellen und sie mit Steinen zu bewerfen?“ … „Wer von Euch ohne Sünde ist,“ sagt Jesus, „der werfe den ersten Stein!“ (Johannes 8,7)  Keiner wirft. Niemand nimmt seinen Stein. Jesus sagt dieser Frau: „Du darfst leben. Geh und sündige nicht mehr!“

Ein anderes Mal kommt eine stadtbekannte Sünderin und wäscht Jesus die Füße am Tisch eines Pharisäers (Lukas 7,36-50). Sie weint heftig. Sie sagt kein Wort. Eine Prostituierte im Haus eines Frommen, die Jesus dann auch noch die Füße küsst. Wieder entsetzen sich die Frommen. „Weiß er es nicht. Sieht er es nicht.  Wie kann man mit  „so einer“ noch zu tun haben und sich von ihr berühren lassen?“

Jesus lässt es zu. Er weist niemanden ab, der zu ihm kommt! (siehe Jahreslosung 2022 Johannes 6,17) Er sieht die Liebe dieser Frau zu ihm. Er schützt sie vor den Frommen. Er vergibt ihr  und  sie fängt ein neues Leben an. Sie wird eine treue Schülerin von Jesus. Sie folgt ihm nach.

„Weil ihr so viel vergeben wurde, darum liebt sie mich mehr, als ihr Frommen es tut!“  sagt Jesus denen, die so gerne andere beurteilen. Sie werden nicht die letzten Frommen bleiben, die Dochtauslöscher sind und Stabbrecher, die mit Fingern auf „die Sünder“ zeigen.  Selbstgerechte Fromme, die nicht wissen, wie groß ihre  eigene Sünde ist, und die darum nicht lieben können. Jesus nicht und die Menschen nicht.

„Du sollst leben!“ Das ist der Urteilsspruch, den Gottes Knecht zu den Heiden bringt. „Du sollst leben!“ Das ist Gottes Zuspruch auch an uns heute. Er bricht den Stab nicht über dich. Und wo du bist, wie ein rauchender Docht, der sein Feuer verloren hat, da erlischt er dich nicht. Er haucht dich an, dass du wieder neu sein Feuer bekommst. Du sollst leben. Du sollst brennen.

Gott will dich wieder anzünden. Deine Augen sollen fröhlich leuchten. Deine Schultern nicht mehr hängen. Du sollst Ruhe finden in deinen Gedanken, in deinem Herzen, weil du wieder Hoffnung hast und vertrauen kannst. Wo deine Liebe  erlahmt ist, will er sie wieder erfrischen. Wo dein Glaube klein geworden ist und seine Kraft verloren hat, will er Neues, Starkes, Festes wachsen lassen.

Es ist nicht egal, wer uns regiert. Gott hat seinen Knechts-König gewählt. Wir können ihn auch wählen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen. Den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Ich lade zu einer Zeit der Stille ein.

Wo seid ihr wie eine erloschene Kerze? Wo habt ihr das Feuer verloren?
Wo sehnt ihr euch noch einer Erfrischung von Gott, nach neuer Kraft, neuer Liebe.
Wo wünscht ihr euch, dass er euch mit seinem Heiligen Geist anzündet?
Vielleicht denkt ihr auch an jemand anderen, dem oder der ihr neue Kraft und Freude für sein Leben wünscht?

Wir sind ein paar Minuten still. Ich werde die Stille mit einem Gebet abschließen.
Dann haben wir direkt danach eine Gebetsgemeinschaft.

 

 

 

 

 

 

 

 

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