Jesus trägt sein Kreuz

Ich möchte  mit euch mit Jesus zurücksehen in seine letzten Tage in Jerusalem. Wie hat Jesus diese Tage erlebt? Und wenn wir sie mit ihm  noch einmal Revue passieren lassen: Wo komme ich vielleicht vor in den einzelnen Stationen?

Was hat Jesus wohl gedacht,  als er sein Kreuz durch die Straßen von Jerusalem  trug. Über alle Kräfte erschöpft.  Ausgepeitscht. Verhöhnt und geschlagen von den Soldaten. Die schaulustigen Gaffer in den engen Straßen gehen kaum zur Seite.  Sie berühren sich fast. So nahe kommen sie Jesus, als er sein Kreuz trägt. Immer wieder fällt er hin. Immer wieder steht er auf. Er hat die Kraft nicht, sein Kreuz zu tragen.

Kann man überhaupt irgendetwas denken, wenn man so geschunden wird? Ich stelle mir vor, dass Jesus zurückgedacht hat an verschiedene Situationen und Menschen der letzten Tage.

Jesus denkt an die lachenden und jubelnden Gesichter, als er nach Jerusalem einzog. So kam er hier an  vor zwei Tagen. Sie haben ihm zugejubelt. „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“  haben sie gerufen. Sie haben alle ihre Hoffnungen und Erwartungen mit ihm verbunden. Jetzt würde ein himmlisches Leben beginnen, dachten sie. Wie schnell waren sie wieder weg, als er ihre Hoffnungen enttäuscht hat. Für diese Menschen trägt er das Kreuz, denkt Jesus. Für diese Menschen hält er durch. Bis ans Ende.

Wie oft wird Jesus das noch erleben. Wenn er in das Leben von Menschen einzieht, jubeln sie ihm zu und versprechen ihm alles. Er sei der Sinn ihres Lebens. Er sei ihre große Liebe.   Er sei der Herr, dem sie jetzt gehören. Wie wenig bleibt oft davon übrig. Wie schnell verbrennt ihre Leidenschaft, ihre Opferbereitschaft.  Sie passen sich an. Der Druck ist zu groß. Dieses Leben bietet so viel anderes, so viel mehr als  ihn. Aber für diese  Menschen, die lau werden in ihrer Liebe, die er aber liebt, für sie hält Jesus durch, fällt wieder hin, steht wieder auf und trägt sein Kreuz bis ans Ende. Seine Leidenschaft hält durch.

Vielleicht denkt Jesus auch an jene Frau, die zwei Tage vor Passah in das Haus des Simon  kam. Jesus war dort zu Gast. Da kommt diese Frau, die ihm so dankbar ist, die verloren war,  die ihm ihre Liebe zeigen will, und gießt ihm völlig unvernünftig  das teuerste Duftöl über den Kopf. Vielleicht hat Jesus diesen Duft noch in der Nase. Auch für sie trägt er dieses Kreuz, denkt Jesus. Für die Dankbaren. Für die, die unvernünftig lieben  und andere über die Maßen beschenken.

Wie schön wäre es, wenn Jesus auf dem Weg nach Golgatha darin Trost gefunden haben könnte, dass da eine Frau war, die kam und nichts von ihm wollte, die ihn einfach nur beschenken wollte und ihn schon, wie er es empfunden hat, die ihn schon für sein Begräbnis gesalbt hat. Auch für diese Frau geht er nach Golgatha.

Vielleicht werden auch alle seine Gedanken, Gefühle und Eindrücke wieder präsent, die er beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern hatte. Mit Johannes neben sich, der immer seine Nähe suchte. Die Liebe Gottes zu uns und unsere Liebe zu anderen, das wird das Lebensthema von Johannes werden. Was war das für eine dichte Zeit mit seinen zwölf Jüngern. Wie hat er sie geliebt. Was hat er in sie investiert. Wie viel Geduld brauchte er oft für sie.

Judas saß auch am Tisch. Auch Judas hat das erste Abendmahl empfangen, als er das erste Mal beim Brechen des Brotes zu Beginn der Mahlzeit sagte „Das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird.“ Da hat er auch Judas das Brot gereicht. Vor wenigen Stunden heute, da hat er dann die Soldaten zu ihm geführt, dass sie ihn verhaften konnten.

Und heute, an dem Tag an dem er gekreuzigt wird, heute ist auch Judas gestorben. Total verzweifelt. Er hat seine Tat bereut. Er hat den Priestern seine Schuld bekannt. Er konnte es nicht ungeschehen machen. Judas wusste nicht wohin mit sich und seiner Schuld. Auch an Judas denkt Jesus vielleicht auf seinem Weg nach Golgatha. Auch für Judas trägt er das Kreuz. Mit aller Kraft. Bis an den Rand gefüllt mit Schmerzen und mit Liebe. Auch für Judas und andere Verräter, die es bereuen, geht Jesus diesen Weg bis zu Ende.

Nein. Auf seine Jünger konnte er sich nicht verlassen. Die entscheidendsten und die schwersten Schritte in seinem Leben muss er  alleine gehen. Sie sind immer wieder eingeschlafen. Sie haben  nicht erkannt, wie er kämpft, was er für eine Angst hat, was es ihn kostet, jetzt in dem Willen seines Vaters zu bleiben.

Das wird Jesus noch so oft erleben. So sind die Menschen. Jeder lebt sein eigenes kleines Leben. Jeder hat seinen Alltag. Jeder braucht seine Ruhe. Andere leiden und sie schlafen. Sie machen sich keine Vorstellung davon, was die anderen gerade durchmachen. Jeder lebt sein eigenes Leben. Jesus leidet mit den Leidenden. Bis heute. Er ist mit ihnen durstig. Er wird mit ihnen verfolgt. Er ist mit ihnen einsam oder gefangen. Jesus leidet und seine Jünger schlafen. Darum will Jesus durchhalten. Sie wissen ja nicht, was sie tun. Vater, vergib ihnen. Sie wissen auch nicht, was sie nicht tun, was sie unterlassen.

Vielleicht denkt Jesus auch an Petrus als er sein Kreuz trägt. Petrus, der alte Petrus, der hätte gesagt: Für mich musst du nicht sterben. Mein Kreuz brauchst du nicht zu tragen.  Ich schaffe das alleine. Petrus, der alte Petrus, er war ein so selbstgerechter Frommer. Er hat große Stücke auf sich gehalten. Petrus hätte unter anderen Umständen auch einen guten Pharisäer gegeben, so wie Paulus einer gewesen ist. Sehr überzeugt von sich und seinem Weg. Ein klares Urteil über und gegen andere. Jemand, der sich zurückzieht, der sich absondert von denen, die nicht so richtig, nicht so fromm und gehorsam sind, wie er selbst.

Die Selbstgerechten brauchen Abstand. Wie anders hat Jesus gelebt. Solche Christen gibt es heute noch. Sie wird es immer geben. Die sich absondern. Die genau wissen, wer richtig glaubt  und wer es ernst meint mit Jesus. Auch für diese selbstgerechten Frommen trägt Jesus sein Kreuz weiter. Auch um ihretwillen, geht er diesen schweren Weg. Die Selbstgerechten  kommen auch nur in den Himmel wie ein Kamel durchs Nadelöhr, denkt Jesus,  denke ich.

Der alte Petrus war auch so einer. Seine Füße sollte er nicht waschen, wehrte er sich gegen Jesus. Drei Mal hat er ihn vor einer Stunde verleumdet, so getan, als kennte er Jesus nicht. Jetzt weiß Petrus, wie sehr er Gottes Gnade braucht.

Pilatus  hat er auch gegenüber gestanden. Pilatus ist ein Politiker zwischen lauter Interessenvertretern. Eigentlich weiß er, was richtig wäre zu tun. Aber das spielt keine Rolle. Es geht nicht um richtig oder falsch. Es geht darum, was politisch durchzusetzen ist. Jesus denkt daran, wie er vor ihm stand. Diese Zerrissenheit von Pilatus wird ihn das Leben kosten. Pilatus hätte ihn freilassen können. Aber die Hohen Priester hatten ihre Forderungen, das Volk wollte ihn am Kreuz sehen, „kreuzige ihn, kreuzige ihn“ haben sie gerufen. Pilatus findet keine Schuld an ihm. Sie hatten ein gepflegtes Gespräch. Pilatus war nicht dumm. Es war nicht richtig, dass wusste er, aber er übergab ihn seinen Soldaten.

Barabbas kam frei. Jesus ist anstelle von Barabbas gestorben. Bar-Abbas heißt Sohn des Vaters übersetzt. Der einzige Sohn des Vaters stirbt und ein anderer, ein Räuber und Mörder, der Sohn des Vaters heißt, er überlebt. Weil Jesus stirbt, können alle Menschen, wenn sie an ihn glauben, Töchter und Söhne des himmlischen Vaters werden.

„Ich wasche meine Hände in Unschuld“ hörte Jesus Pilatus noch sagen als die Soldaten ihn abführten. Sie peitschten ihn aus, sie flochten ihm eine Dornenkrone, sie zogen ihm einen Purpurmantel an, einen Stock gaben sie ihm als Zepter in die Hand, mit einem anderen schlugen sie ihm auf den Kopf und die Dornenkrone immer tiefer in seine Stirn. Sie verhöhnten ihn, spotteten, hatten ihren Spaß und spuckten ihn an. Soldaten tun nur, was man ihnen sagt. Auch für sie und Millionen Menschen nach ihnen, die nur Befehlen gehorchen, die nur tun, was man ihnen gesagt hast, ist Jesus bereit sterben. Sie werden Gottes Gnade brauchen.

Bei jedem Schritt tat es Jesus weh auf dem Weg nach Golgatha. Weil Menschen so grausam und menschenverachtend sein können, darum ist Jesus weiter gegangen. Alle Schuld wollte er tragen. Jeder sollte die Möglichkeit haben, wenn er an ihn glaubt, zum Vater zu kommen. Jesus liebte die Menschen bis zum Schluss.

Dann kommt er nicht mehr hoch. Die Beine wollen nicht mehr gehorchen. Er liegt am Boden. So kommen sie nicht weiter. Das erkennen auch die Soldaten. Sie halten einen Mann an. Er kommt gerade von der Feldarbeit. Er will nur vorbei gehen, nach Hause. Die Soldaten aber nehmen ihn und zwingen ihn, das Kreuz von Jesus weiter zu tragen.

Einen kleinen Moment sehen sie sich in die Augen. Jesus und Simon von Cyrene, so heißt der Mann. Er und seine Söhne, Alexander und Rufus (Markus 15, 21), sie werden sich später zu den Christen halten. Auch für sie ist Jesus gestorben.

Wie lange Simon das Kreuz getragen hat, wissen wir nicht. Ans Kreuz kommt Jesus. Da stirbt er auch für mich.

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